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sich weiter bewegt. Auch mit der Bescheidenheit ist es wohl nur mangelhaft
bestellt; wenigstens spricht sich diese in ihrem Äußeren nicht aus, denn im
Gegenteil, die Nachtigall hat etwas wirklich vornehmes in ihrer Erscheinung,
als sei sie des inneren wertes sich wohl bewußt; man möchte sagen, sie
ist ein „nobler" Vogel.
Die Nachtigall wohnt am liebsten in sogenannten angenehmen Gegenden:
in den waldreichen Auen der Flüsse, in gebüschreichen Parkanlagen, besonders,
wenn sie des Wassers nicht entbehren, an sanften Berghängen, die mit
Buschwerk bedeckt sind, und vorzugsweise gern in solchen Feldhölzern, wo
unter großen einzelnen Bäumen üppiges Gesträuch der verschiedensten Arten,
von wilden Nosen, Weißdorn, Faulbaum, Schneeball, Liguster und dergleichen,
sich ausbreitet. Solche Grte sind überhaupt, wenn sie des nötigen Schutzes
genießen, wahre Vogelparadiese und im Frühling ein Füllhorn wahrhaft
betäubenden Gesanges aller Art. Sie nistet dort nahe an der Erde und
selten über einen Meter hoch in dichtem Gestrüpp oder Gras, auch in
Neisighaufen, und zwar, was charakteristisch ist, immer in einem von ihr selbst
zusammengetragenen, mehr oder weniger großen Hausen von trocknen
Eichenblättern, so daß dieses Nest oft das äußere Ansehen eines ungeheuer
großen Klumpens hat. Gben in dem Klumpen befindet sich ein sehr
sauberer Napf, mit zarten hälmchen und manchmal auch mit pserdehaaren
ausgelegt, für welches Material zum Auskleiden ihrer Nester so viele kleine
Vögel eine seltsame Vorliebe haben. In diesem Neste, das meistens sehr
gut verborgen und schwer zu entdecken ist, findet man im Mai vier bis
sechs grünlich-braune Eier, welche, obgleich die Farbe nicht ganz stimmt,
etwas Schokoladenartiges an sich haben. Die Nester können ein sehr
verschiedenes Aussehen besitzen, wie ich selber an zweien erfuhr, die ich
auffand. Vas eine stand in einem Fichtendickicht, war in den unteren
vertrockneten Zweigen angebracht, hatte, eine große Seltenheit, etwa zwei
Fuß hoch Luft unter sich und bestand äußerlich aus einem Haufen Eichen¬
laub von der Große eines mittleren Kürbis. Das andere fand ich in dem
schonen park von Wörlitz bei Dessau, in der flachen Aushöhlung des
Stammes einer mir unbekannten Konifere, etwa einen und einen viertel
Meter über dem Boden. Da der Napf des Nestes nur eben Platz in dem
engen Raume hatte, so beschränkte sich die Unterlage aus Eichenlaub —
denn ohne dieses geht es nicht, und ohne Eichenlaub ist ein Nachtigallennest
nicht „stilvoll" — nur aus wenige Blätter, so daß das ganze Nest nicht
großer war, als wenn man zwei Fäuste aneinander legt.
Die Brütezeit dauert vierzehn Tage, und nach weiteren vierzehn
Tagen gehen die Jungen bereits aus dem Neste, oft ohne ordentlich
fliegen zu können, und werden von den Eltern noch längere Zeit ge¬
füttert.
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