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daß in der Regel einer der Streiter auf dem Platze bleibt. Doch ziehen
wir den friedliebenden Storch dem händelsuchenden vor! Welch ein Ver—
gnügen, wenn wir ihn belauschen können während der Zeit des Nestbaues!
Weit und breit streifen dann Männchen und Weibchen umher; sie tragen
eifrig Reisig, Stroh, Schilf, Blätter und tausend andere Dinge zusammen,
um die Waͤnde des Nestes aufzuführen. Das Innere wird dann aus—
gepolstert mit Gras, Haaren, Federn, Papier und allerhand weichen Stoffen.
Wenn einer hinausgeht, um zu sammeln, bleibt der andere daheim und
baut am Neste. Sie verstehen einander ganz trefflich, und obgleich sie nur
die Klappersprache sprechen, so teilen sie sich doch auf diese Weise mit, ob
sie freudig oder traurig sind, ob sie Hunger haben, oder ob ein Feind in
der Nähe ist. Und sind erst kleine Störchlein in dem Neste, so beweisen
die Alten ihnen eine Liebe, die zu jeder Aufopferung fähig ist. Sie sorgen
emsig für Nahrung; bringt einmal das Männchen einen guten Bissen mit,
dann geht es gar lustig und fröhlich her, und jubelnd wird Papa Lang—
bein von der Storchmutter und den Kleinen begrüßt. Wird das Nest zu
enge, so wird es erweitert, damit die Jungen auch den nötigen Platz haben.
Rührend ist es, wie die Alten ihre Jungen vor den Feinden schützen.
Eins hält immer Wache vor dem Nest, und tritt Gefahr ein, so setzen sie
ihr eigenes Leben bei Verteidigung des Lebens der kleinen Storchschar ein.
In einem Hause, auf welchem ein Storchnest sich befand, brach Feuer aus.
Als die Storchmutter sah, daß die Flammen aufschlugen, trug sie ihre
Kinder, eins nach dem andern, von dem brennenden Dache weg. Sie
scheute sich weder vor dem Rauch, noch vor den Flammen. Als sie aber
nach ihrem letzten Kindchen ausgeflogen war, erschien sie nicht wieder; sie
hatte ihr Grab in den Flammen gefunden.
3. Wenn die Kleinen laufen und klappern gelernt haben, dann versuchen
sie sich auch im Fliegen, und die Alten sind ihnen dabei behilflich, so viel
sie können. Nun gehen sie auch mit den Alten nach Nahrung aus, und
diese verlangen sie immer in tüchtigen Portionen. Der Storch ist ein gar
gefräßiger Geselle. Gleich einem Jäger mit der Flinte schleicht er einer
Menge von Tieren nach und weiß sie mit dem Schnabel so geschickt zu fassen,
daß ihm selten eins entwischt. Ottern und Schlangen verschluckt er, nachdem er
ihnen mit dem Schnabel einen tüchtigen Hieb auf den Kopf gegeben hat.
Ende Juli rüsten sich die Störche zur Abreise. Auf großen Ebenen
oder ausgedehnten Wiesen versammeln sie sich und halten Musterung.
Eines Tages erhebt sich das ganze Heer in die Lüfte, schwebt noch eine
Zeitlang über der geliebten Heimat, schwingt sich dann höher und immer
höher und ist bald unseren Augen entschwunden.
160. Der Star.
Nach Karl Reinhold.
1. Bruder Lustig hat ein bekannter Naturforscher den Star genannt
und damit die beste Bezeichnung für diesen heitern Allerweltsliebling ge—