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Der arme Hahnl er sollte sich wahren;
das gar zu gescheit sein bringi Gefahren;
er kannte den Fuchs, er hätte nicht sollen
ihm seine Rätsel raten wollen.
Nun hat's ihn gereut zu tausend Malen,
nun muß er's mit seiner Haut bezahlen.
136. Fuchs und Ente.
Gey.)
F. Frau Ente, was schwimmst du dort auf dem Teich?
Komm doch einmal her an das Ufer gleich;
ich hab' dich schon lange was wollen fragen.
E. Herr Fuchs ich wüßte dir nichts zu sagen.
Du bist mir so schon viel zu kluͤg,
drum bleib' ich dir lieber weit genug.
Herr Fuchs, der ging am Ufer hin
und war verdrießlich in seinem Sinn;
es lüstete ihn nach einem Braten,
das hatte die Ente gar wohl erraten,
Heut hätt' er so gerne schwimmen können;
nun mußt er ihr doch das Leben gönnen.
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137. Die Taube.
(Masius.)
Das Anmutigste unter allem, was Flügel trägt, ist doch die Taube.
Mit Tauben ländeln Kinder am liebsten, und jedes lautere Gemüt hat Freude
an ihnen. Sie sind sanft, arglos, ohne Falsch und ohne Zorn; sie dulden alles, 25
selbst den Tod, und stoßen nicht einmal einen Schrei des Schmerzes aus.
Welches andere Tier wäre diesem zu vergleichen? Ja, ein lieber schöner
Vogel ist die Taube, dem Menschen zugewandt und doch frei, immer sauber
das Kleid, die Farbe fein, oft leuchtend, jede Bewegung nett, lebensfroh in
Flug und Zug. Die eine trägt ein Häubchen, die andere eine Perrücke, einen 30
Kragen, ein Band; jene trommelt, diese kichert, wieder eine andere schlägt
rucksend ihr Rad.
Wie zierlich trippelt dort der kleine, befranste Fuß über den weißen
Sand; wie neugierig schaut ihr rötliches Auge umher! Nun schwingt sie sich
auf das Dach! Schön und schnell ist der Flug der Taube, am schnellsten 35
unter allen Vögeln, und dies ist ihr einziger Schutz gegen den Falken. Wenn
der Raubvogel über dem Hofe schwebt, dem menschlichen Auge kaum sichtbar,
dann hat ihn die Taube schon erblickt, und ist ein Verbergen nicht mehr mög⸗
lich, so erhebt sich die ganze Schar und steigt in dichtem Kreise auf. Rascher
und immer rascher dreht sich der Knäuel, den Räuber zu verwirren. Dieser
stürzt herab und — verfehlt seine Beute; denn Blick und Stoß sind unsicher
geworden; er versucht es noch ein-, zweimal, aber vergeblich; es bleibt ihm
nichts, als beschämt von dannen zu ziehen. Freilich ist der Ausgang zuweilen
auch ein anderer.