125. Der Eichbaum.
Ein junger Eichbaum, kräftig und stark,
mit breiten Ästen, gesundem Mark
und fester Wurzel stand auf der Au
un streckte sich hoch in des Himmels Blau.
Um ihn herum standen Pappeln und Linden,
auc schlanke Birken mit weißlichen Rinden;
doc er ragt' empor voll Majestät,
wie der König über dem Volke steht,
und sprach zu ihnen: „Ihr schlechten Gesellen!
Ihr dürfet euch gar nicht neben mich stellen.
So ein verkrüppelt Geschlecht von Zwergen,
das kann nur meine Schönheit verbergen.
Betrachtet mich mit meinen Zweigen,
wie sie bis zu den Wolken reichen!
Und streckt ihr euch auch noch so lang mit Müh,
so reicht ihr mir kaum bis an die Knie.
Ich könnte noch dreimal größer sein,
saugt' ich nicht eure Dünste ein.
Was kann ich nun aber anderes machen,
als über euch arme Schlucker lachen?“ —
So sprach die Eiche mit stolzem Ton,
sah auf die andern herab mit Hohn,
die aber weislich stille schwiegen
und dachten: „Das kann sich noch anders fügen.“
Und nun geschah's auf einen Tag,
als schwüle Hitze auf dem Lande lag,
verschmachtet Saat und Blumen stehen,
kein Lüftchen wollte Kühlung wehen.
Da kamen schwarze Wolken gezogen
und hüllten in Nacht den Himmelsbogen;
der Donner rollte, der Regen goß,
des Blitzes Strahl herniederschoͤß.
Sie fürchteten alle den Untergang;
nur der Eichbaum sprach mit kühnen Blicken:
„Kein Sturm kann meinen Stamm zerknicken!“
Da fuhr ein Blitz herab aus der Nacht,
zerstörte seine ganze Pracht.