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116. Die 9 in der Wetterfahne
Karl Simrock. Gedichte. Leipzig, 1844.
Hans Winkelsee, der Wilddieb, im Eschenheimer Turm
Spricht zu der Wetterfahne, da sie bewegt der Sturm:
„Nun hast du neun Nächte mir den Schlaf geraubt
Mit deinem Drehn und Wirbeln immer über meinem Haupt.
2.
Fur das bißchen Schießen ist die Qual zu lang,
Und am Ende lautet's wohl gar auf den Strang.
Pfui, das leidge Zappeln ist ein schlechter Scherz,
Ich gönn es keinem Tiere, ich treff es mitten ins Herz.
Sie wissen nicht in Frankfurt, wie der Hänsel schießt,
Daß man zum Gesindel in den Turm ihn schließt.
Würd ich heute ledig, ich ließe sie aus Gunst
Wohl eine Probe schauen meiner edeln Schützenkunst.
Ich weiß schon, wie ich's machte, in schlafloser Nacht
Bei ew'gem Fahnenschwirren hab ich's ausgedacht.
Ja, in diese Fahne, zum Gedächtnis meiner Pein,
Mit neun Kugeln schöß ich den schönsten Neuner hinein!“
5.
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Das hört der Kerkermeister und bringt es vor den Rat.
Der Schultheiß spricht: „Die Schützen, was nützen die dem Staat?
Er hat so viel geschossen! Er ist wohl hängenswert;
Jedennoch soll es gelten, wenn er die Rede bewährt.“
Die Schöffen, Rät' und Bürger lassen es geschehn:
„Und ist es denn beschlossen, so mag es gleich ergehn;
Bringt ihm seine Büchse und sagt ihm ohne Hehl,
Unfehlbar müss' er hangen, geh eine Kugel nur fehl.“
Der Hänsel nimmt die Büchse und küßt sie mit dem Mund:
„Nun thu mir heute wieder die alte Treue kund!
Neun Tage nichts geschossen! So schieß nun eine Neun;
Ich hoff es wett zu machen, es soll dich nimmer gereun.“
3.
Hier standen die des Rates, und welch ein Menschenspiel!
Er richtet seine Büchse und äugelt nach dem Ziel;
Ein Schuß, ein Schuß! Getroffen! Und an dem rechten Ort
Seht ihr das runde Löchlein in der Wetterfahne dort?