Full text: [Teil 3 = (3. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 3 = (3. Schuljahr), [Schülerband])

117— 
123. Kindliche Liebe. 
M. Fortner. Fromme Kinder. Legenden u. Erzählungen für die liebe Jugend. Main;, 1876. S. 51. 
In einem französischen Erziehungshause, in dem Soldatenkinder unter— 
richtet und ernährt wurden, war auch der Sohn eines alten Offiziers. Das 
Kind hatte seit seinem Eintritt in die Anstalt sich immer nur mit Suppe 
und trockenem Brote begnügt und wollte von den übrigen Speisen nie etwas 
anrühren. Als der Aufseher darauf aufmerksam wurde, zankte er den 
Knaben deshalb. Er meinte, es wäre eine mißverstandene Frömmigkeit, 
welche den Knaben bewog, sich aller anderen Speisen zu enthalten. Der 
Kleine nahm den Verweis ganz ruhig hin; doch blieb er bei seinem früheren 
Verhalten, er aß nur Suppe und Brot. Da wurde die Sache dem Vor— 
stand der Anstalt gemeldet, der den Knaben rufen ließ. Erschrocken, aber 
bescheiden und demütig hörte der Knabe auf die Mahnworte seines Vor— 
gesetzten, der ihm vorstellte, daß man in einem Institute alle Sonderbarkeiten 
vermeiden und sich ganz nach den Gebräuchen der Anstalt richten müsse. 
Doch der Knabe bal inständig, fich auch künftig mit Suppe und Brot 
begnügen zu dürfen. 
„Aber warum denn?“ fragte der Vorstand mit verstellter Strenge; 
„wenn du so eigensinnig bist, so mußt du aus der Anstalt fort und wieder 
zu deinem Vater.“ Da zuckte das Kind zusammen, und mit Thränen in 
den Augen blickte es treuherzig auf, indem es sprach: „Ach, ich bitte, bitte 
recht, schicken sie mich nicht fort! Ach, mein Gott, mein guter Vater würde 
mich dann auch fortjagen und vielleicht vor Kummer sterben!“ — Nun, 
mein Kind, sei ruhig,“ entgegnete der edle Kinderfreund; „aber sage mir 
einmal aufrichtig warum du nur Suppe und Brot nimmst und die anderen 
Speisen, die dir gewiß auch gut schmecken würden, immer unberührt stehen 
lässest!“ — „Ahh, mein bester Herr, weil sie es denn durchaus wissen 
wollen,“ sprach der Kleine; „aber ich bitte sie, werden sie nicht böse über 
mich, — ich getraue mir nicht, mehr zu nehmen. Mein armer Vater und 
meine arme Mutter konnten auch nur Suppe und Brot mit mir teilen, und 
da war die Suppe gar dünn und das Brot gar schwarz. Doch wie gut 
ist hier die Suppe und wie schön weiß und schmackhaft das Brot! Wie gut 
habe ich es hier! Wenn ich daran dachte, welch schlechte Kost Vater, Mutter 
und Geschwister zu Hause haben, so konnte ich mich nicht entschließen, mehr 
zu essen.“ 
Der Vorsteher war durch die Rede des Knaben bis zu Thränen 
gerührt; er wandte sich ab, um die Thräne in seinem Auge zu verbergen, 
und fuhr dann fort: „Aber wenn dein Vater dem Könige gedient hat, so 
muß er doch eine Pension erhalten.“ — „Ach, nein,“ ankwortete traurig das 
Kind, „schon seit einem halben Jahre sucht mein Vater um die Pension nach,
	        
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