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14. Anfänge deutscher Städte.
bot, wodurch anderseits wiederum der Absatz der ländlichen Produkte vermehrt wurde.
Schon im zwölften Jahrhundert war ferner eine überschüssige Bevölkerung auf dem
Lande vorhanden. Sie fand Abfluß einmal durch die gerade jetzt kräftig einsetzende
großartige Kolonisierung und Germanisierung des Slawenlandes. Sodann aber
kam sie namentlich auch den Städten zugute. Weiter ist die vermehrte Ausnutzung
des Bergbaues und der Salinen in Betracht zu ziehen; gerade ihr verdanken mehrere
Städte, deren erste Entwicklung in dieseZeit fällt, ihr Wachstum. Zu diesen Momenten,
die sich aus den innem Verhältnissen ergaben, trat die Einwirkung von außen hinzu.
Die im Zeitalter der Kreuzzüge sich vollziehende Steigerung des Orienthandels,
der hauptsächlich über Italien ging, bot zunächst dem südlichen und südwestlichen
Deutschland, dann aber auch dem nördlichen, einen neuen Hebel für die Entwicklung
eines reichen, selbständigen Handels- und Gewerbslebens. Ohnehin wirkten der
lebhafte Austausch zwischen Orient und Okzident in den Kreuzzügen sowie der Ver¬
kehr zwischen Deutschland und Italien unter den salischen und noch mehr der unter
den staufischen Kaisem in der vorteilhaftesten Weise auf den Handel und das gesamte
wirtschaftliche Leben ein. Die Zeitgenossen sind sich dieser Einwirkungen lebhaft
bewußt gewesen; sie zählen auf, was sie Neues aus dem Orient erhielten. Im Norden
vollzog sich ein Ereignis von noch unmittelbarerer Wirkung: eben jene Eroberung,
Kolonisierung und Germanisierung des Slawenlandes. Die Erfolge der sächsischen
Fürsten über die benachbarten Slawenstämme, die Germanisierung slawischer Fürsten¬
familien, die Niederlassung deutscher Ritterorden in Preußen und Livland, die Wand¬
rungen des deutschen Bauern bis zur Oder und Weichsel und über sie hinaus, die
Erweiterung der deutschen Schiffahrt bis zum Finnischen Meerbusen — sie stellen
die größte Erweiterung des deutschen Handelsgebietes dar. Denn nicht nur, daß
die unmittelbar von Deutschen besetzten Landstriche sich dem deutschen Kaufmann
öffneten; es bot sich ihm damit zugleich ein noch viel ausgedehnteres Hinterland:
Polen, Rußland, die skandinavischen Länder. Auch England kam in Handelsabhängig¬
keit vom deutschen Kaufmann. Bereits im zwölften Jahrhundert machte sich hier der
Einfluß des Niederrheins geltend; bald gesellte sich dazu der der ostdeutschen Städte.
Wenn ein so gewaltiges Handelsgebiet hinzuerworben wurde, dann konnte es
fürwahr nicht ausbleiben, daß das deutsche Städtewesen sich schnell und mächtig hob.
Mit dem zwölften und dreizehnten Jahrhundert beginnt die Zeit der Blüte des
deutschen Städtewesens. Sie setzt sich bis ins sechzehnte fort.
Ihrem wirtschaftlichen Charakter nach sind die Städte dieser Zeit mehr Handwerks-
als Handelsplätze; wobei sich im allgemeinen die Unterscheidung machen läßt, daß der
Handel in Norddeutschland, besonders an der Küste, das Handwerk in Süddeutschland
stärker vertreten, ist.
Die Zeit vom dreizehnten bis zum sechzehnten Jahrhundert ist die glänzendste
Periode des zünftigen Handwerks. Für die damaligen Verhältnisse war es ohne
Zweifel die beste aller möglichen wirtschaftlichen Formen. Wir bewundern seine
technischen Leistungen ebenso wie das, was es für den sozialen Aufbau der Nation
getan hat.
Die gewerbliche Produktion war damals überwiegend lokal. Die einzelne Stadt
stellte weit mehr als heute ein auf sich ruhendes Ganze dar. Bei dem relativ geringen
Verkehr des Mittelalters ergab sich als Notwendigkeit, daß jede Stadt so ziemlich
alle gewerblichen Produkte hervorbrachte. Wir finden darum, daß die Gewerbs-
zweige viel gleichmäßiger verbreitet waren als heute. Es gab nicht wie heute wenige
und sehr große Zentren der Industrie, sondern eine Unmenge kleiner Mittelpunkte