Full text: [Teil 2 = Mittel- und Oberstufe, [Schülerband]] (Teil 2 = Mittel- und Oberstufe, [Schülerband])

— ihm ist die eine Seele so arm wie die andere, und das himmlische 
Licht, daß er ihr anzündet, kennt keinen Unterschied. 
Lieber aber als auf dem Sarge sehe ich den Krüsel, wenn er — 
wie in den Tagen meiner Jugend — in den trauten Kreis der Lebenden 
herabhängt und mit seinem spärlichen Licht die alten treuen Gesichter 
erhellt, in deren Furchen sich die Sorge des Tages und der Frohmut 
des Abends so friedsam miteinander gebettet hatten. 
Wie eifrig pflegten wir Kinder nicht die „Sternschnuppen“ zu 
zählen, die der Krüsel gewöhnlich bildete, und wie wachten wir sorg— 
sam darüber, daß die Schnuppen nicht zur Erde, sondern zurück ins 
Olschiff fielen: — bedeutet doch jede derselben einen Besuch, und was 
war ein langer Winterabend ohne Besuch! Da nun der Krüsel jeden 
Abend seine Schnuppen hatte, so hatte auch die Lindenhütte jeden 
Abend ihren Besuch, und wir Kinder hatten unsere Freude. 
O ich sehe sie noch so deutlich wie die Apfel in der Pfanne: die 
alten wackren Hofdrescher Utermöhlen und Franke, den alten Hilde— 
brand von der „Beke“, Frohnhöfers Friedrichpaten mit der aufge— 
worfenen Unterlippe, und nicht zu vergessen den alten Mosebach, der 
mit unserm Vater tagaus, tagein nach dem Holzhauen im gräflichen 
Walde ging und eigentlich sein bester Freund war. Sonst war er noch 
„Hofnachtwächter“, als welcher er alle Nacht von zehn Uhr ab bis vier 
Uhr hin auf dem gräflichen Hofe und ums Grafenschloß zu „tuten“ hatte. 
Damals sahen die Menschen noch ganz anders aus wie heute: es 
hatte noch jeder so was Besonderes, während sie heute alle gleich glatt 
sind. Heute sieht man alltags nur Kittel und Hose; die Tracht der 
Lindenhüttenmänner aber war voller Farben und Mannigfaltigkeit; 
steht mir doch jedes Stück daran noch lebhaft vor Augen: die weiße 
Jacke von Leinen, kurze Hose mit gelben Spangen auf den Knien, 
Zwickelstrümpfe, fahle manchesterne Hose und bläuliche „TDimpelmütze“ 
mit Ringen, oder Pelzmütze mit einem Deckel von Samt und einer 
Quaste darauf. So eine Mütze, wie unser Vater sie trug, kostete 24 gute 
Groschen oder einen Taler, und da dazumal der Tagelohn — unser 
Vater ging im Winter nach dem Holzhauen — genau sechs Marien— 
groschen, das sind nach heutigem Gelde 48 Pfennige, betrug, so kann 
man sich ausrechnen, wie lange er um so eine Mütze arbeiten mußte; 
dafür hatt. er aber auch Jahre lang 'ne Mütze daran! 
Die Männer kamen und gingen mit größter Regelmäßigkeit, und 
wenn einmal einer ausblieb, dann war das immer ein außerordentliches 
Ereignis, das den Abend hindurch immer wieder besprochen wurde. 
„'s zwickt und prickt einen ordentlich, wenn's sechs Uhr ist, und man hat 
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