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Endlich macht ein bejahrter Offizier die Thür auf und fragt nach dem
Begehr des Klopfenden.
„Mein Herr Oberst ist krank,“ antwortete der Bayer, „und muß eine
Flasche Wein haben!“
„Gleich, mein Sohn!“ lautete die Antwort des Herrn, der die Thür
wieder schloß.
„Hier ist eine Flasche Wein!“ sagte er zurückkommend, „sie wird Ihrem
Herrn Oberst gut bekommen!“
Verlegen dreht die Ordonnanz nun den Thaler in der Hand, während
io er die Flasche bereits mit der Linken erfaßt hat. Einem Offizier kann er
doch den Wein nicht bezahlen, und doch soll er durchaus nicht requirieren.
Was ist in diesem kritischen Falle nur zu thun?
Hat der Herr Oberst sonst noch Aufträge oder Wünsche?“ fragte der
Offizier den zögernden Burschen.
ih „Ja,“ platzt dieser heraus, ich soll durchaus nicht requirieren, weil der
König von Preußen im Ort ist, und hier ist ein Thaler für die Flasche!“
Schnell wollte er dem Offizier den Thaler in die Hand drücken, doch
dieser lächelte und sagte:
„Schon gut, mein Lieber! Eilen Sie nur und bringen Sie Ihrem
2o Herrn das Verlangte! Sagen Sie, der König von Preußen schicke ihm
den Wein und lasse dem Herrn Oberst gute Genesung wünschen!“
Die Ordonnanz gehörte zu den Menschen, die nicht leicht die Ver—
hältnisse übersehen, und denen viel Mutterwitz nicht beschert wurde.
„Der König von Preußen?“ wiederholte er fragend und staunend.
25 „Wo ist denn der König von Preußen?“
„Der steht hier vor Ihnen!“ antwortete der alte Herr lächelnd und
schloß darauf seine Thür; die Ordonnanz aber stand noch lange mit ihrem
Thaler und ihrer Flasche Wein verblüfft da und schaute auf die Thür, in
welcher der schlichte Offizier gestanden hatte, der gat der große König von
o Preußen sein wollte.
Als er heimkommt, ist sein Oberst erfreut, daß es nicht mit leeren
Händen geschieht, macht aber ein bitterböses Gesicht, als die Ordonnanz
den blanken Thaler auf den Tisch legt.
„Ich hab' dir ja gesagt, Blitzkerl,“ fährt der Oberst los, „du sollst
zs nicht requirieren!“
Gelassen antwortete der Reiter: „Ja, Herr Oberst, es war ein Herr
da, der hat mir die Flasche gegeben und mir gesagt, er sei der König von
Preußen und lasse Ihnen gute Genesung wünschen!“
„Was?“ ruft der Oberst, „der König von Preußen?“
10 Da ist sein Erstaunen ein noch größeres, als das seines Boten im
Gasthofe war. Mit Ehrfurcht beträchtet er die Flasche, und nach stillem
Sinnen führt er das erste Glas an die durstigen Lippen. „Vom Könige
von Preußen!“ murmelt er leise. Der Wein ist vorzüglich; an solchem
Abend, nach solchem Marsche schmeckt er besonders schön. „Genesung läßt
mir der König wünschen!“ spricht der Oberst lächelnd, während seine Blicke
in der dunkeln Flut sich wiederspiegeln. Beim letzten Glase aber steht er
auf, und ehe er es zum Munde bringt, hebt er es freudig in die Höhe
und ruft: „Es lebe König Wilhelm!“