Full text: [Teil 4 = (4. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 4 = (4. Schuljahr), [Schülerband])

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und zieht durch die Lüfte dem Kaiser zu Hilfe. Erst wenn der Krieg 
beendet ist, kehrt er wieder zurück. Der Zug geht unsichtbar durch die 
Luft, und zwar nicht der Richtung der Straßen folgend, sondern quer 
über Felder, Wiesen und Wälder, ja selbst durch Gebäude hindurch. 
Dabei erfüllt die Luft ein Getöse wie Pferdegetrappel, Wagengerassel, 
Hundegebell und Peitschengeknall; dazwischen tönt das Blasen der Hift⸗ 
hörner und der schauerliche Ruf: Huhu! Niemand hat den unheimlichen 
Zug gesehen, dagegen wollen hunderte ihn gehört haben, und einzelne 
haben die Wahrheit ihrer Behauptung sogar gerichtlich beschworen. Wo 
der nächtliche Zug die Fluren durchschneidet, herrscht — so sagt man — 
größere Fruchtbarkeit, und in den Wäldern läßt sich der Weg an dem 
üppigeren Wachstum der Bäume erkennen. Wer war dieser Rodenstein? 
Die Sage erzählt weiter: Er war ein tapferer, aber wüster und rauf⸗ 
lustiger Ritlker. Wenn er nicht irgendwo im Hinterhalte lag, um dem 
reisenden Kaufmanne aufzulauern, saß er mit seinen Kumpanen bei 
wüstem Gelage. Endlich trieben ihn die Schulden von Haus und Hof 
zum Heere des Kaisers, das sich gegen die Türken in Bewegung setzte. 
Bei Wien zog er durch seine tollkühne Tapferkeit die Aufmerksamkeit des 
Kaisers auf sich. Dieser löste ihm zum Lohn seine verpfändeten Burgen 
ein und gab sie ihm als Lehen. Rodenstein, über diese Gunst entzückt, 
schwur dem Kaiser ewige Dankbarkeit. Selbst der Tod, der ihn bei 
äinem wilden Ritt vor der Burg Schnellerts durch den Sturz seines 
Pferdes ereilte, setzte dieser keine Grenze. Getreu seinem Schwur: 
„Aus Todesschlaf und aus Grabesnacht 
für Deutschland zieh' ich noch aus zur Schlacht!“ 
steigt er hervor aus seiner Gruft, um es dem Kaiser zu verkünden, wenn 
Gefahr dem Reiche droht! — 
In Wirklichkeit ist die Sage eine weit ältere, als vielfach ange— 
nommen wird, und es ist unzweifelhaft, daß erst eine spätere Zeit, welcher 
die Kenntnis des altgermanischen Glaubens verloren gegangen war, eine 
Göttersage auf die Person eines wilden Raubritters übertrug. Die Sage 
deutet zurück auf Odin, von welchem der Odenwald seinen Namen 
erhalten hat. Die Namensform Wodan wird von dem altdeutschen Worte 
Hatan», dai. durchbrausen, abgeleitet. Das oft gebräuchliche, Wuotan“ 
erinnert deutlich an unser Zeitwort „wüten“. Im Sausen und Brausen 
des Windes erkannten unsere Vorfahren ihres Gottes Wesen und Wirken. 
Im Sturm — glaubte man — sause der Göttervater auf seinem acht— 
füßigen Schimmel, begleitet von den Geistern gefallener Helden und einer 
Lesebuch IV. 2. Aufl.
	        
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