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54. Nur noch ein Weilchen.
Eduard Wolf-⸗Harnier.
Haulemann. Was Wald und Flur ergählen. Berlin und Leipzig. 3. Aufl. S. 6.
Die Sonne spricht zum Frühlingswind:
„Ich bitte dich, wecke mein herziges Kind,
das liebe bescheidene Veilchen!“
Der Frühlingswind fegt durch die Fluren geschwind
und säuselt und flüstert ganz leise und lind:
„Wach auf, du herziges Veilchen!“
Da regt und bewegt sich das schlummernde Kind
und lispelt: „Schön Dank dir, du gütiger Wind!
Ich komme! — Nur noch ein Weilchen!
Noch ist es da draußen so rauh und so kalt!
Mir graut vor des scheidenden Winters Gewalt!
Ich guckte durchs Fenster hinaus auf den Rain
und sah nichts und hörte kein Liedchen im Hain.
Erscheint auf den Fluren der liebliche Mai,
dann magst du mich wecken, dann bin ich dabei!“
So sprach wie im Traume das Veilchen
und schwieg dann und schlief noch ein Weilchen.
55. April.
Wilhelm Rein.
Lesebuch der „Schuljahre“. 8. Schuljahr. Leipzig 1903. S. 105.
Der April ist ein übermütiger Gesell. Er neckt die Leute, wo er
nur kann. Nach den langen Wintertagen lockt er sie gern hinaus ins
Freie. Leise klopft er früh am Morgen an das Fenster und weckt die
Schläfer. Rasch erhebt sich die Mutter und sieht hinaus ins Freie.
Da lacht die Frühlingssonne so freundlich, und die Knospen am
nahen Kastanienbaum glänzen über und über. Aber der ausgelassene
Fink lacht sie aus, weil sie so dick sind, daß sie fast zerplatzen. Der
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