Full text: Lesebuch für das zweite Schuljahr

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UI. Länder- und Völkerkunde. A. Europa. 
Raume die beiden Extreme der Cultur aufzuweisen: neben dein ver¬ 
sunkenen Naturzustände der istrischen und dalmatischen Morlaken das 
reiche Staats- und Literaturleben des ehemaligen Staates von Ragusa, 
wo die glückliche Vereinigung slawischer Ausdauer und italienischer Ge¬ 
schmeidigkeit inmitten der Barbarei einen Culturzustand hervorrief, der 
heute noch einen Glanzpunkt der Geschichte jener Völker darbietet. 
V. Die Mtttärgrenze. 
155. Die Organisation der Militärgrenze. 
(Nach Otto von Pirch, Caragoli.) 
Wenn man den schmalen Landstrich von 227 Meilen*) Länge und 
wenigen Meilen Breite betrachtet, der sich längs der ganzen österreichisch¬ 
türkischen Grenze hinzieht, von Leuten bewohnt, welche Ackerbau und 
Soldatendienst vereinigen; — wenn man die väterliche Art und Weise 
sieht, mit der diese Einrichtung betrieben wird, so wird man nicht 
glauben, daß sie eine gemachte, befohlene sein könne. Der Anfang der 
ganzen Institution erzeugte sich von selbst. Die häufigen räuberischen 
Einfälle der Türken zwangen die christlichen Grenzbewohner, wachsam 
und schlagfertig zu sein, und die Waffen immer zur Hand zu haben, 
um Weib und Kind, Hof und Acker zu beschützen. So vererbte die 
Nothwendigkeit den kriegerischen Geist von einer Generation auf die 
andere, lange bevor die Staatseinrichtung denselben orgauisirte. Diese 
Organisation begann erst gegen das Ende des 16. Jahrhunderts, wo 
die österreichischen Fürsten sich genöthigt sahen, den türkischen Ein¬ 
brüchen eine kräftige, dauernde Gewalt entgegenzustellen. Nicht das 
Zwangsmittel einer Colouisirnug aus allen Theilen des Reichs zu¬ 
sammengeholter Männer, noch der Unterhalt eines stehenden Heeres 
war hier anzuwenden; das Beste, ein waffengcübtes, tüchtiges Volk 
fand man vor, und es bedurfte nur der ordnenden Hand, um das 
ganze Verhältniß zu einem Staatsinstitut zu erheben. Die Brauch¬ 
barkeit und Zweckmäßigkeit desselben zeigte sich bald, und die Einfälle 
größerer Türkenhaufen hörten nach und nach auf. 
Aber ein zweites, ungleich furchtbareres Uebel machte das Fort¬ 
bestehen der Grenzbewachung nothwendig, die Pest nämlich, die sich 
in früherer Zeit so verheerend über den größten Theil Europa's ver¬ 
breitete. Man kann es wohl zu den bedeutendsten Fortschritten rechnen, 
welche das gebildete Europa machte, daß seit einem Jahrhundert den 
Verheerungen der Pest völlig Einhalt gethan worden ist; und unter 
den Thatsachen, die man den Anhängern der guten alten Zeit, den 
*) Der Verfasser schrieb vor Aufhebung der siebenbnrgischen Militärgren;e, 
welche 1861 erfolgte.
	        
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