Full text: Lesebuch für das zweite Schuljahr

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V 
106. Die Sterntaler. 
1. Es war einmal ein kleines Mãdchen, dem war Vater 
und Mutter gestorben, und es war so arm, daß es kein 
Kãmmerchen mehr hatte, darin zu wohnen, und kein Bettchen 
mehr, darin zu schlafen und endlich gar nichts mehr als die 
Kleider auf dem Leibe und ein Stüũckchen Brot in der Hand, 
das ihm ein mitleidiges Herz geschenkt hatte. Es war aber 
gut und fromm. Und weil es so von aller Welt verlassen 
war, ging es im Vertrauen auf den lieben Gott hinaus ins Feld. 
2. Da begegnete ihm ein armer Mann, der sprach: Ach, 
gib mir etwas zu essen, ich bin so hungrigl Es reichte 
ihm das ganze Stückchen Brot und sagte: „Gott segne dir'sl 
und ging weiter. Da kam ein Kind, das jammerte und sprach: 
„Es friert mich so an meinen Kopf, schenk mir etwas, 
womit ich ihn bedecken kann!“ Da tat es seine Mũütze ab 
und gab sie ihm. Und als es noch eine Weile gegangen 
war, kam wieder ein Kind und hatte kein Leibchen an und 
fror; da gab es ihm seins; und noch weiter, da bat eins um 
ein Röcklein; das gab es auch von sich hin. 
3. Endlich gelangte es in einen Wald, und es war schon 
dunkel geworden, da kam noch eins und bat um ein Hemdlein. 
Und das fromme Maädchen dachte, es ist dunkle Nacht, da 
sieht dich niemand, du kannst wohl dein Hemdchen weggeben, 
uncl zog das Hemd ab und gab es auch noch hin. Und 
wie es so stand und gar nichts mehr hatte, fielen auf einmal 
die Sterne vom Himmel und waren lauter harte, blanke Taler; 
und ob es gleich sein Hemdchen weggegeben, so hatte es ein 
neues an, und das war vom allerfeinsten Linnen. Da sammelte 
es sich die Taler hinein und war reich für sein Lebtag. 
Grimm.
	        
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