Full text: [Band 2, [Schülerband]] (Band 2, [Schülerband])

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tun sei. Endlich dachte er: Ich will ihr eine Ladung des köstlichen 
Weizens bringen; was ist Schöneres und Edleres zu finden auf Erden 
als dies herrliche Korn, dessen kein Mensch entbehren kann! Also 
steuerte er nach Danzig, befrachtete sein Schiff mit ausgesuchtem Weizen 
und kehrte alsdann, immer noch unruhig und furchtsam vor dem Aus— 
gang, wieder in seine Heimat zurück. 
„Wie, Schiffsmeister,“ rief ihm die Jungfrau entgegen, „du bist 
schon hier? Ich glaubte dich an der Küste von Afrika, um Gold und 
Elfenbein zu handeln; laß sehen, was du geladen hast.“ Zögernd, 
denn an ihren Reden sah er schon, wie wenig sein Einkauf ihr behagen 
würde, antwortete er: „Meine Frau, ich führe Euch zu dem köstlichsten 
Weizen, der auf dem ganzen Erdreich mag gefunden werden.“ 
„Weizen,“ sprach sie, „so elendes Zeug bringst du mir?“ — „Ich 
dachte, das wäre so elend nicht, was uns unser tägliches und gesundes 
Brot gibt.“ — „Ich will dir zeigen, wie verächtlich mir deine Ladung 
ist; von welcher Seite ist das Schiff geladen?“ — „Von der rechten 
Seite,“ sprach der Schiffsmeister. „Wohlan, so befehle ich dir, 
daß du zur Stunde die ganze Ladung auf der linken Seite in die 
See schüttest; ich komme selbst hin und sehe, ob mein Befehl erfüllt 
worden ist.“ 
Der Seemann zauderte, einen Befehl auszuführen, der sich so 
greulich an der Gabe Gottes versündigte, und berief in aller Eile alle 
armen und dürftigen Leute aus der Stadt an die Stelle, wo das Schiff 
lag, durch deren Anblick er seine Herrin zu bewegen hoffte. Sie kam 
und fragte: „Wie ist mein Befehl ausgerichtet?“ Da fiel eine Schar 
von Armen auf die Knie vor ihr und baten, daß sie ihnen das Korn 
lieber austeilen möchte, als es vom Meere verschlingen zu lassen. Aber 
das Herz der Jungfrau war hart wie Stein, und sie erneuerte den 
Befehl;, die ganze Ladung schleunigst über Bord zu werfen. Da be— 
zwang sich der Schiffsmeister länger nicht und rief laut: ‚„Nein, diese 
Bosheit kann Gott nicht ungerächt lassen, wenn es wahr ist, daß der 
Himmel das Gute lohnt und das Böse straft; ein Tag wird kommen, 
wo Ihr gerne die edeln Körner, die Ihr so verspielt, eins nach dem 
andern auflesen möchtet, Euern Hunger damit zu stillen!“ — „Wie,“ 
rief sie mit höllischem Gelächter, „ich soll dürftig werden können? Ich 
soll in Armut und Brotmangel fallen? So wahr das geschieht, so 
wahr sollen auch meine Augen diesen Ring wieder erblicken, den ich 
hier in die Tiefe der See werfe.“ Bei diesem Worte zog sie einen 
kostbaren Ring vom Finger und warf ihn in die Wellen. Die ganze 
Ladung des Schiffes und aller Weizen, der darauf war, wurde also 
in die See geschüttet
	        
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