Full text: [Band 2, [Schülerband]] (Band 2, [Schülerband])

— 138 — 
Was geschieht? Einige Tage darauf ging die Magd dieser Frau 
zu Markt, kaufte einen Schellfisch und wollte ihn in der Küche zu— 
richten; als sie ihn aufschnitt, fand sie darin einen kostbaren Ring und 
zeigte ihn ihrer Frau. Wie ihn die Meisterin sah, erkannte sie ihn 
sogleich für ihren Ring, den sie neulich ins Meer geworfen hatte, er— 
bleichte und fühlte die Vorboten der Strafe in ihrem Gewissen. Wie 
groß aber war ihr Schrecken, als in demselben Augenblick die Botschaft 
eintraf, ihre ganze aus dem Morgenlande kommende Flotte wäre ge— 
strandet! Wenige Tage darauf kam die neue Zeitung von unter— 
gegangenen Schiffen, worauf sie noch reiche Ladungen hatte. Ein 
anderes Schiff raubten ihr die Mohren und Türken; der Fall einiger 
Kaufhäuser, worein sie verwickelt war, vollendete bald ihr Unglück, und 
kaum war ein Jahr verflossen, so erfüllte sich die schreckliche Drohung 
des Schiffsmeisters in allen Stücken. Arm und von keinem betrauert, 
von vielen verhöhnt, sank sie je länger, je mehr in Elend und Not; 
hungrig bettelte sie Brot vor den Türen und bekam oft keinen Bissen; 
endlich verkümmerte sie und starb verzweifelnd. 
Der Weizen aber, der in das Meer geschüttet worden war, sproß 
und wuchs das folgende Jahr; doch er trug taube ÄAhren. Niemand 
achtete das Warnungszeichen, allein die Ruchlosigkeit von Stavoren 
nahm von Jahr zu Jahr überhand; da zog Gott der Herr seine 
schirmende Hand ab von der bösen Stadt. Auf eine Zeit schöpfte man 
Hering und Butt aus dem Ziehbrunnen, und in der Nacht öffnete sich 
die See und verschlang mehr als drei Viertel der Stadt in rauschender 
Flut. Noch beinah' jedes Jahr versinken einige Hütten der Insassen, 
und es ist seit der Zeit kein Segen und kein wohlhabender Mann in 
Stavoren zu finden. Noch immer wächst jährlich an derselben Stelle 
ein Gras aus dem Wasser, das kein Kräuterkenner kennt, das keine 
Blüte trägt und sonst nirgends mehr auf Erden gefunden wird. Der 
Halm treibt lang und hoch, die Ahre gleicht der Weizenähre, ist aber 
taub und ohne Körner. Die Sandbank, worauf es grünt, liegt entlang 
der Stadt Stavoren und trägt keinen andern Namen als den des 
Frauensands. Vruder Grimm— 
106. Vineta. 
L. Aus des Meeres tiefem, tieéfem Grunde 
klingen Abendglocken dumpf und matt, 
uns zu geben wunderbare Kunde 
von der schönen, alten Wunderstadt.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.