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Was geschieht? Einige Tage darauf ging die Magd dieser Frau
zu Markt, kaufte einen Schellfisch und wollte ihn in der Küche zu—
richten; als sie ihn aufschnitt, fand sie darin einen kostbaren Ring und
zeigte ihn ihrer Frau. Wie ihn die Meisterin sah, erkannte sie ihn
sogleich für ihren Ring, den sie neulich ins Meer geworfen hatte, er—
bleichte und fühlte die Vorboten der Strafe in ihrem Gewissen. Wie
groß aber war ihr Schrecken, als in demselben Augenblick die Botschaft
eintraf, ihre ganze aus dem Morgenlande kommende Flotte wäre ge—
strandet! Wenige Tage darauf kam die neue Zeitung von unter—
gegangenen Schiffen, worauf sie noch reiche Ladungen hatte. Ein
anderes Schiff raubten ihr die Mohren und Türken; der Fall einiger
Kaufhäuser, worein sie verwickelt war, vollendete bald ihr Unglück, und
kaum war ein Jahr verflossen, so erfüllte sich die schreckliche Drohung
des Schiffsmeisters in allen Stücken. Arm und von keinem betrauert,
von vielen verhöhnt, sank sie je länger, je mehr in Elend und Not;
hungrig bettelte sie Brot vor den Türen und bekam oft keinen Bissen;
endlich verkümmerte sie und starb verzweifelnd.
Der Weizen aber, der in das Meer geschüttet worden war, sproß
und wuchs das folgende Jahr; doch er trug taube ÄAhren. Niemand
achtete das Warnungszeichen, allein die Ruchlosigkeit von Stavoren
nahm von Jahr zu Jahr überhand; da zog Gott der Herr seine
schirmende Hand ab von der bösen Stadt. Auf eine Zeit schöpfte man
Hering und Butt aus dem Ziehbrunnen, und in der Nacht öffnete sich
die See und verschlang mehr als drei Viertel der Stadt in rauschender
Flut. Noch beinah' jedes Jahr versinken einige Hütten der Insassen,
und es ist seit der Zeit kein Segen und kein wohlhabender Mann in
Stavoren zu finden. Noch immer wächst jährlich an derselben Stelle
ein Gras aus dem Wasser, das kein Kräuterkenner kennt, das keine
Blüte trägt und sonst nirgends mehr auf Erden gefunden wird. Der
Halm treibt lang und hoch, die Ahre gleicht der Weizenähre, ist aber
taub und ohne Körner. Die Sandbank, worauf es grünt, liegt entlang
der Stadt Stavoren und trägt keinen andern Namen als den des
Frauensands. Vruder Grimm—
106. Vineta.
L. Aus des Meeres tiefem, tieéfem Grunde
klingen Abendglocken dumpf und matt,
uns zu geben wunderbare Kunde
von der schönen, alten Wunderstadt.