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Kinder in Haufen schreiend davonliefen oder das Gesicht in der
Schürze der Mutter bargen; dann schüttelte er den Staub von den
Schuhen und ging, und die Stadt ging auch an ihre Geschäfte, und
die Kinder vergaßen die Fratze und fingen ihre Spiele in den Gassen
von neuem an.
Nun hätten die Bürger jedenfalls das Ganze und doppelt und
dreifach das Ganze bezahlt, und die Mütter würden all ihren Schmuck,
alle Kostbarkeiten, Haus und Hof willig dem Pfeifer hingeworfen und
überlassen haben, wenn sie gewußt hätten, was die Fratze des
Mannes bedeuten sollte; sie wußlen es aber nicht und vergaßen das
Gesicht, bis es sich ihnen auf die allerschrecklichste Weise in die
Erinnerung zurückrief.
Es war der Johannistag im Jahr eintausendzweihundertachtzig—
undvier; in der Kirche befanden sich alle erwachsenen Einwohner
Hamelns, nur die Kinder spielten draußen im lichten Sonnenschein.
In der Sankt Bonifatiuskirche sangen die Väter und Mütter die
Messe, und so vernahmen sie vor den heiligen Klängen nicht den
andern Klang, der ihnen so großes Weh bedeutete. Über den Kirch—
platz schrillte eine lustige Pfeifermelodie, und der grüne Jäger mit der
Hahnenfeder, dessen Gesicht man so schnell vergessen hatte, durchzog
alle Straßen der Stadt, und alle Kinder in den Gassen schlossen sich
ihm an, und alle Kinder in den Häusern, welche die Pfeife ver—
nahmen, sprangen hervor und folgten ihr, wie einst ihr die Mäuse
und Ratten gefolgt waren Sie vernahmen nichts im Münster zu
Sankt Bonifatius. Mit hundertunddreißig Hämelschen Kindern zog
der Pfeifer aus dem Ostertor langsamen Schrittes, immerfort seine
wildlustige Weise blasend. Tanzend und jauchzend folgten ihm die
Kinder gegen den Koppelberg, und als der Zug davor angelangt war,
öffnete sich der Berg, tat auf eine schwarze Höhle, und hinein in
die Höhle, in die Höhle, in die dunkle Gruft zogen aus dem hellen
Sonnenschein mit dem Pfeifer die Kinder von Hameln. Der Berg
schloß sich wieder, und niemals hat man wieder etwas gehört von
dem Pfeifer und den armen Kleinen. Der Kinderjubel war ver—
stummt, und das Wehklagen und Jammern der Väter und Mütter
begann in den Gassen und Häusern Hamelns und hallte durch die
Jahrhunderte weiter.
Im Jahre MCOLXXXIV na Christi Gebort
To Hameln worden utgefort
Hundert und drittig Kinder, dasülvest geborn,
Dorch einen Piper under den Koppen vorlorn
lautet der alte Vers, und bis in die neueste Zeit durfte in der