mubte aber auch ein Neues Testament besitzen, dem einige Kern-
lieder angefügt waren. Jedes Regiment hatte seinen Feldprediger.
Über alles liebte Friedrich Wilhelm grobe Soldaten. Das
Leibregiment in Potsdam bestand aus lauter Riesen. Diese „langen
Kerle“ wurden überall angeworben, und der sparsame König gab
für besonders lange Leute wohl fünf- bis achttausend Taler aus.
Auch List und Gewalt wurde von den Werbeoffizieéren nicht ge—
scheut. Kein hochgewachsener Mann war vor ihnen sicher. War es
nicht geradezu unmöglich, so wurde er nach Potsdam geschafft.
Da sah man den Riesen Müller, der sich in Paris und London für
Geld hatte seben lassen. Noch gröber waren Jonas, ein Schmiede—
knecht aus Norwegen, und der Preube Hohmann, dem der König
August von Polen, der doch ein stattlicher Herr war, mit der aus-
gestreckten Hand nicht auf den Kopf reichen konnte. Wollten
fremde Fürsten die Gunst Friedrich Wilhelms erwerben, so schenk-
ten sie ihm lange Kerle. Der König kannte jeden dieser Riesen
genau. Er war ihnen sehr gnädig, nannte sie seine lieben blauen
Kinder und bekümmerte sich um ihre persönlichen Angelegenhei-
ten. Die Potsdamer Riesengarde war das Musterregiment für das
ganze preubische Heer. August Gõpfort.
191. Eine Schulprüfung.
Giesenbrügge ist ein Dorf in der Neumark. Hier hatte König
Friedrich Wilhelm J. eine neue Schule eingerichtet. Er hatte zum Bau
des Schulhauses das Holz gegeben und einen Lehrer namens Wendroth
geschickt. Wo der König aber etwas Neues gegründet hatte, da sah er
auch selbst nach, ob es gedieh, und ob seine Beamten fleißig waren und
ihre Schuldigkeit taten. Seine Fahrten durch das Land waren daher
bei allen faulen und gewissenlosen Leuten sehr gefürchtet. Denn plötzlich
war er da, wo ihn niemand erwartete, und seinem scharfen Auge ent—
ging nichts. So wußte auch an einem heißen Julitage des Jahres 1730
in Giesenbrügge und zehn Meilen in der Runde kein Mensch, daß der
König unterwegs war, die Schule zu besuchen.
Der Lehrer Wendroth hatte des Tages Last in der niederen Schul—
stube getragen. Nun schritt er, die Gießkanne in der Hand, von Beet
zu Beet, das Gemüse und die Blumen tränkend. Die Schuljugend ver—
gnügte sich auf dem Platze vor der Kirche. Da stürzte Frau Wendroth
atemlos in den Garten und rief: „Mann, tummle dich! der König ist
hier. Er kommt schon mit dem Schulzen die Straße herauf.“ Wendroth
lief eilig durch den Garten ins Haus, um seinen Rock zu wechseln. Als
238