28. Srau Holle.
Heimweh war, und ob es hier gleich viel tausendmal besser war, als zit
Hause, so hatie es doch ein Verlangen dahin. Endlich sagte es zu ihr: „Ich
habe den Jammer nach Haus gekriegt, und wenn es mir auch noch so gut
hier unten geht, so kann ich doch nicht länger bleiben, ich muß hinauf zu den
Meinen.“ Die Frau Holle sagte: „Es gefällt mir, daß du wieder nach Haus
verlangst, und weil du mir so treu gedient hast, so will ich dich selbst wieder
oben hin bringen“ Sie nahm es darauf bei der Hand und führte es vor ein
großes Thor. Das Thor ward aufgethan, und wie das Mädchen gerade
darunter stand, fiel ein gewaltiger Goldregen, und alles Gold bleb an ihm
hängen, sodaß es über und über davon bedeckt war. „Das sollst du haben,
weil du fleißig gewesen bist!“ sprach die Frau Holle und gab ihm auch die
Spule wieder die ihm in den Brunmen gefallen war. Darauf ward das
Thor verschlofsen, und das Mädchen befand sich oben auf der Welt, nicht
weit von seiner Mutter Hause; und als es in den Hof kam, saß der Hahn
auf dem Brunnen und rief „Kikeriki, unsere Jungfraͤu ist wieder hie!“ Da
ging es hinein zu seiner Mutter, und weil es so mit Gold boedeck. ankam,
ward es von ihr und der Schwester ganz gut aufgenommen.
Das Mädchen erzählte alles, was ihm begegnet war, und als die
Mutter hörte, auf welche Artee zu dem großen Reichthum gekommen war,
wollte sie der andern, haͤßlichen und faulen Tochter gerne dasselbe Gluck ven
schaffen. Sie mußte sich an den Brunnen setzen und spinnen und damn ihre
Spule blutig ward, stach sie sich in die Finger und stieß die Hand in die
Dornhecke. Dann warf sie die Spule in den Brunnen und sprang felber
hinein. Sie kam, wie die andere, auf die schöne Wiese und ging auf dem⸗
selben Pfade weiter W sie zu dem Backofen gelangte, schrie das Brot
wieder: „Ach, zieh' mich raus, zieh! mich 'raus, sonst derbrem ich, ich bin
schon längst ausgebacken!“ Die Faule ber antwortete: „Da hätt' ich Lust,
mich schmutzig zu machen! bleb sitzen, bis du schwarz wirst!“ und ging fort.
Bald kam sie zu dem Apfelbaum, der rief: „Ach, schuttle mich, schültle mich,
wir Aepfel sind alle mit einander reif· Sie antwortete aber · Du kommst
mir recht, es könnte mir einer auf den Kopf fallen!“ und ging weiter Als
sie vor der Frau Holle Haus kam, fürchtete sie sich nicht, weil sie von ihren
goßen Zähnen schon gehoͤrt hatte, und verdingte sich gleich zu ihr. Am ersten
Tage that sie sich Gawalt an, war fleißig und folgte der Frau Holle, wenn
sie ihr etwas sagte; denn sie dachte an das viele Gold, das sie ihr schenken
würde. Am zweiten Tage aber fing sie schon an zu faulenzen; am dritten
noch mehr, da wollte sie Morgens gar nicht aufstehen. Sie machte auch den
Frau Holle das Bett unicht, wie sich's gebührte, und schüttelte es nicht, daß
die Federn aufflogen. Des ward die Frau Holle bald müde und sagte ihr den
Dienst auf. Das war die Faule wohl zufrieden und meinte, nun würde der
Goldregen kommen. Die Flau Holle führte sie auch zu dem Thor; als sie
aber darunter stand, ward statt des Golbes ein großer Kessel voll Pech aus—
geschüttet. „Das ist zur Belohnung deiner Dienste!“ sagte die Frau Holle
und schloß das Thor zun Da lam die Faule heim und war ganz mit Pech
bedeckt; und der Hahn auf dem Brunnen, als er sie sah, rief: Kikerik
unsere schmutzige Ruugfrau ist wieder hie!“ — Das Pech blieb aber an ihr
hängen und wollte, so lange sie lebte, nicht abgehen. Br. Grimm))