35. Die wandelnde Glocke.
35. Die wandelude Glocke.
L. Es war ein Lind, das wollte nie 4. Die Glocke, Glocke tönt nicht mehr,
zur Kirche siech bequemen, die Mutter hat gefackelt;
und Sonntags fand es stets ein Wie, doch weleh' ein Schrecken hinterber!
den Weg ins Feld zu nehmen. Die Glocke kommt gewackelt.
2. Die Mutter sprach: „Die Glocke tönt, 5. Sie wackeltschnell, man glaubt es kaum.
und so ist dir's befohlen, Das arme Rind, im Schrecken,
und hast du dieb nicht hingewöhnt, es lauft, es kKommt, als vie im Lraum;
sie kKommt und wird dieh holen.“ die Glocke wird es decken.
Das Kind, es denkt: „Die Glocke hängt 6. Doch nimmt es richtig seinen Husch,
da droben auf dem Stuhle.“ und mit gewandter Schnelle
Schon hat's den Weg ins Peld gelenkt, eilt es dureb Anger, Feld und Busch,
als lief' es aus der Schule. zur Kirehe, zur Rapelle.
7 Und jeden Sonn- und Peiertag
gedenkt es an den Schaden,
Tißt dureh den ersten Glockenschlag,
nicht in Person sieh laden. Goethe.)
V. 4, „Fackeln“ eigentlien wohl — „eine Fackel hin und her bewegen,“ dann — „Umstände
macehen,“ „zaudern.“ Also die Mutter ist nieht mit Ernst und Strenge aufgetreten.
36. Die Sternthaler.
Mãrehen.)
L war einmal ein kleines Mädehen, dem war Vater und Mutter gestorben,
und es war so arm, dab es Lein Kämmerchen mehr batte, darin zu
wohbnen, und kein Betteben mehr, darin zu schlafen, und endlieb gar nichts
mehr, als die Kleider auf dem Leib und ein Stückchen Brot in der Hand,
das ihm ein mitleidiges Herz geschenkt hatte. Es war aber gut und fromm.
Und weil es so von aller Welt verlassen war, ging es im Vertrauen auf
den lieben Gott hinaus ins Feld; da begegnete ibm ein armer Mann, der
sprach: „Ach, gieb mir etwas zu essen, iebh bin so hungrig!“ Es reichte
ibhm das ganze sStückchen Brot und sagte: „Gott segne dirs!“ und ging
weiter. Da kam ein Kind, das jammerte und sprach: „Es friert mich so
an meinem Kopf, schenk' mir etwas, womit ich ihn bedecken kann!“ Da
that es seine Mütze ab und gab sie ihm. Und als es noch eine Weile
gegangen war, kam wieder ein Kind und hatte kein Leibchen an und fror,
da gab es ihm seins; und noch weiter, da bat eins um ein Böcklein, das
gab es auch von sich hin. Endlich gelangte es in einen Wald, und es war
schon dunkel geworden; da kam noch eins und bat um ein Hemdlein, und
das fromme Mädehen dachte: „Es ist dunkle Nacht, da sieht diebh niemand,
du kannst wohl dein Hemd weggeben“; und gab es auch noch hin. Und
wie es so stand und gar nichts mehr hatte, fielen auf einmal die Sterne
vom Himmel und waren lauter harte, blanke Thaler; und ob es gleich sein
Hemdlein weggegeben, so hatte es ein neues an, und das war vom aller-
feinsten Linnen. Da sammelte es sieh die Thaler hinein und war reich für
sein Lebtag. (Br. Grimm)