Full text: [Teil 1 = Unterstufe, [Schülerband]] (Teil 1 = Unterstufe, [Schülerband])

ß 
erfaßte aueh jenes Kind, daß es auf sein Lager sank und zum Tode 
erkrankte. Drei Tage und drei Nächte wachte, weinte und betete 
die Mutter bei ihrem geliebten Kinde; aber es starb. Da erfabte 
die Mutter, die nun allein war auf der ganzen Gotteserde, ein ge- 
waltiger und namenloser Schmerz, und sie ab nicht und trank 
nieht und weinte, weinte, weinté wieder drei Tage lang und 
drei Nächte lang ohne Aufhören und rief nach ihrem Kinde. Wie 
sie nun so voll tiefen Leides in der dritten Nacht saß an der 
Stelle, wo ihr Kind gestorben war, tränenmũüde und schmerzens- 
matt bis zur Ohnmacht, da ging leise dié Tür auf, und die Mutter 
schrak zusammen; denn vor ihr stand ihr gestorbenes Kind. Das 
war ein seliges Englein geworden und lächelte süß wie die Un- 
schuld und schön wie Verklärung. Es trug aber in seinen Händ- 
chen ein Krüglein, das war schier übervoll. Und das RKind 
sprach: „O, lieb Mütterlein, weine nicht mehr um mich! Sieh, 
in diesem Krüglein sind deine Tränen, dieé du um mich ver— 
gossen hast; der Engel der Trauer hat sie in dieses Gefäß ge- 
sammelt. Wenn du nur noch eine Träne um mieh weinst, s0 
wird das Krüglein überfslieben, und ich werde dann keine Ruhe 
haben im Grabe und keine Seligkeit im Himmel. Darum, o lieb 
Mũtterlein, weine nicht mehr um dein Kind! denn dein RKind ist 
wohl aufgehoben, ist glücklich, und Engel sind seine Gespielen.“ 
Damit verschwand das tote Kind, und dié Mutter weinte hinfort 
keine Träne mehr. Um des Kindes Grabesruhe und Himmels- 
frieden nicht zu stören, um des Kindes Seligkeit willen weinte sie 
keine Träne mehr, bezwang sie ihren ungeheuren, tiefen Seelen— 
schmerz. So stark und mächtig ist Mutterliebe! oahstoin. 
42. Die sieben Raben. 
1. Wie die sieben Brüder Raben wurden. 
Ein Mann hatte sieben Söhne und immer noch kein 
Töchterchen; endlich gebar ihm seine Frau auch einMädchen. 
Die Freude war groß, aber das Kind war schmächtig und 
klein und sollte wegen seiner Schwachheit die Nottaufe 
haben. Da schickte der Vater einen der Knaben eilends zur 
Quelle, Taufwasser zu holen, und die anderen sechs liefen 
mit. Weil aber jeder der erste beim Schöpfen sein wollte, 
fiel ihnen der Krug in den Brunnen. Da standen sie und 
36
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.