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denn verhungern? Ich bin nun einmal Vogelsteller und habe in
der Welt nichts weiter gelernt. Allenfalls kann ich noch Holz hacken;
das ist aber auch alles!“ — „Ei,“ rief der Specht, „wenn das ist
so kaun uns beiden geholfen werden. Schau, hier im Walde steht
ein alter dürrer Baum; der ist inwendig hohl, und darin liegt ein
Schatz, den die diebische Elster sich zusammengestohlen hat. Nun
hacken wir Spechte schon seit langer Zeit, wenn sie nicht da ist, an
dem Baume, können ihn aber nicht umhauen. Willst du unsere
gefangenen Kinder fliegen lassen, so zeigen wir dir den Baum, du
haust ihn um, und wir theilen den Schatzl!“ — „Gut,“ sagte Peter,
„so soll's sein!“
Drauf zeigte der Specht ihm den alten Stamm ganz in der
Nähe, woran eben wieder viele Spechte hackten. Da rief Peter:
„Fort, ihr gelbschnäbligen Holzhacker!“ und hieb mit dem Beile, das
er gerade noch in der Hand hielt, so kräftig in den Stamm, daß
derselbe nach elf Hieben zu wanken begann; nach dem zwölften Hiebe
aber lag der große Baum am Boden. Sogleich erhoben sich alle
Vögel über den Stumpf in die Luft, um zu sehen, was drin wäre,
und siehe da! da lag rechts ein großer Haufe Futter und links ein
großer Haufe blanker Thaler. Alles jubelte vor Lust, aber der Specht
rief: „Das Futter für uns und die Thaler für dich, und nun befreist
du unsre gefangenen Kinderchen sicherlich.“
Eben wollten Hans und Grete die Käfiche öffnen, siehe, da kam
wie der Wind die böse Elster angeflogen. Wüthend setzte sie sich auf
das gestohlene Geld und schrie:
„Mein Korn! Mein Geld! Mein Baum! Mein Haus!
Wer's anrührt, dem hack ich die Augen aus!“
Aber der Specht rief dagegen:
„Glaubt nicht, glaubt nicht, Weiß Leut zu belügen,
Was die Elster spricht! Kann Vögel betrügen,
Weiß zu schwätzen, Stiehlt Futter und Geld,
Weiß zu hetzen, Taugt nichts auf der Welt.“
„Taugt nichts auf der Welt!“ schrieen alle übrigen Vögel, und damit
fielen sie über die Elster her und bissen sie todt.
Die beiden Kinder öffneten darauf freudig die Vogelbauer, und
alle gefangenen Vögel flogen heraus, schnäbelten sich mit ihren Eltern
und Geschwistern, dankten Petern und den Kindern und ließen es
sich zuletzt wohl sein beim Futter der Elster. Peter aber lud die
Thaler auf die Karre und zog mit seinen Kindern ab. Er wurde
nun Holzhauer und ließ von dem Gelde seine Kinder in die Schule
gehen, damit sie etwas Rechtes lernten und nicht vom Vogelstellen
sich zu ernähren brauchten. Niemals hat weder er noch die Kinder
einen Vogel mehr gefangen; dafür sangen aber auch die dankbaren
Vögel im Walde ihnen die allerschönsten Lieder vor und erzählten
ihnen die wunderbarsten Geschichten, die noch viel wunderbarer waren
als diese. Nach Robert Reinich.