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213. Vom Bäumlein, das andere Blätter hat gewollt.
Es ist ein Bäumlein gestanden im Wald
in gutem und schlechtem Wetter;
das hat von unten bis oben halt
nur Nadeln gehabt statt Blätter;
die Nadeln, die haben gestochen,
das Bäumlein, das hat gesprochen:
„Alle meine Kameraden
haben schöne Blätter an,
und ich habe nur Nadeln,
niemand rührt mich an;
dürft' ich wünschen wie ich wollt',
wünscht' ich mir Blätter von lauter Gold.“
Wie's Nacht ist, schläft das Bäumlein ein,
und früh ist's aufgewacht;
da hatt' es goldene Blätter fein.
Das war eine Pracht!
Das Bäumlein spricht: „Nun bin ich stolz;
goldne Blätter hat kein Baum im Holz.“
Aber wie es Abend ward,
ging der Jude durch den Wald
mit großem Sack und großem Bart,
der sieht die goldnen Blätter bald;
er steckt sie ein, geht eilends fort
und läßt das leere Bäumlein dort.
Das Bäumlein spricht mit Grämen:
„Die goldnen Blättlein dauern mich;
ich muß vor den andern mich schämen,
sie tragen so schönes Laub an sich
dürft' ich mir wünschen noch etwas,
so wünscht' ich mir Blätter von hellem Glas.“
Da schlief das Bäumlein wieder ein,
und früh ist's wieder aufgewacht;
da hatt' es glasene Blätter fein.
Das war eine Pracht!
Das Bäumlein spricht: „Nun bin ich froh;
kein Baum im Walde glitzert so.“
Da kam ein großer Wirbelwind
mit einem argen Wetter,
der fährt durch alle Bäume geschwind
und kommt an die glasenen Blätter;
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