4. Im frischen, grünen Walde. 199
114. Erdbeerliedchen.
1. Ein Mägdlein an des Felsen Rand
ein nacktes Erdbeersträuchlein fand,
von Sturm und Regengüssen
zerzaust und losgerissen.
Da sprach das Mägdlein leise:
„Du arme, nackte Waise,
komm mit mir in das Gärtchen mein,
du sollst mir wie ein Kindlein sein!“
2. Drauf macht' es wohl die Würzlein los
und trug das Pflänzchen in dem Schoß
und spähte, still und wonnig
ein Plätzchen, kühl und sonnig,
und wühlte in der Erde mit emsiger Gebärde
und pflanzte nun das Pflänzlein drein
und sprach: „Das soll dein Bettchen sein!“
3. Und als die Frühlingszeit erschien,
begann das Pflänzchen schön zu blühn
wie sieben weiße Sterne;
das sah das Mägdlein gerne;
die wurden sieben Beeren,
als ob's Rubinen wären.
„Gelt,“ sprach's, „es will nun dankbar sein
und meint, ich sei sein Mütterlein.“
Friedrich Adolf Arummacher.
115. Valdstadt und Riese.
1. Es ist eine Stadt mitten im Walde. Die Stadt hat viel
hundert Straben. In ihr lebt ein Völkchen, das ist weit und breit
wegen seines Fleißes berühmt. Vom Morgen bis zum Abend sind
dort alle rührig bei der Arbeit. Sie klettern auf die Bäume und
holen Holz herab, schleppen Gras heim, pflegen ihre Kinder und
bauen neue Wohnungen. Dabei leben sie still und friedlich neben-
einander; wenn einer auf der Strabe geht und seine Last nicht allein
schleppen kann, so springt gleich ein andrer hinzu und hilst, ohne
daß er sich erst bitten labt.
2. Da geschah aber an einem schönen Nachmittag ein grobes
Unglück. Als eben die Alten ihre weib eingewickelten Kinder vor
die Stadt getragen und in den warmen Sonnenschein gelegt hatten,