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dreht ihm den Hals um und wirft ihn auf den Boden. Als
er aber die mörderischen Finger wieder nach einem Ge—
fangenen ausstreckt und an nichis denkt, schrie der Gefangene:
„Ich bin der Barbier von Segringen!“ als wenn er wüßte, was ihn
retten muß. Der Vogelsteller erschrak anfänglich, als wenn es
hier nicht mit rechten Dingen zuginge; nachher aber, als er sich
erholt hatte, konnte er kaum vor Lachen zu Atem kommen, und
als er sagte: Ei, Hansel, hier hätte ich dich nicht gesucht, wie
kommst du in meine Schlinge?“ da antwortete der Hansel: „Par
compagnie.“ Also brachte der Vogelsteller den Star seinem Herrn
wieder und bekam ein gutes Fanggeld. Der Barbier erwarb sich
damit einen guten Zuspruch, denn jeder wollte den merkwürdigen
Hansel sehen, und wer noch jetzt weit und breit in der Gegend
will zu Ader lassen, geht zum Barbier von Segringen. Hehbel.
159. Das Rotschwãnzchen.
Kaum graut der Tag, da erhebt schon das Rotschwanzchen
seine schüchterne Stimme. Aut dem First der alten Gartenmauer
hinlaufend, scheint es Futter für die Jungen zu suchen, die in
jener Steinlücke ihr Nest haben. Sein Gesang ist wie das Scherf-
lein der Witwe. Wenig, aber mit Liebe. Uberhaupt lebt der Vogel
anspruchslos und fast scheu, als wüßte er nicht, vie schön braun·
grau seine Flügel und sein Rücken sind und wie schön rostrot
das Unterkleid ist. Sein Flug ist gewandt, sein Schwänzchen
immer in Bewegung; seine Augen blicken hell und sehen wie mit
Fernröhren vom Giebel des Hauses herunter den kleinsten Kafer
im Staube kriechen, und husch! ist er gefangen. Sein armes
Halmennest mit den blaugrunen Eierchen ist niedlich anzusehen;
aber brave Knaben greifen sie nicht an, denn sie wissen, daß das
Võgelchen sie so lieb hat wie eine Mutter ihre Kinder. Masius.
160. Die Schlüsselblume.
Der Winter hielt die Erde lange verschlossen, so daß kein
einziges Blümchen herauskommen konnte. Endlich erschien der
holde Frühling mit seinem goldenen Schlüssel. Er eilte von