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3. Es steht und frieret, nackt und Der Lenz heißt Bäum' und Wiesen
klein, blühn
Und fleht um Tau und Sonnenschein. Und schmückt das Thal mit frischem
Die Sonne schaut von hoher Bahn Grün
5Der Erde Kindlein freundlich an. 7. Voll krauser Ähren, schlank und
4. Bald aber nahet Frost und Sturm, schön,
Und scheu verbirgt sich Mensch und Muß nun die Halmensaat erstehn,
Wurm; Und wie ein grünes, stilles Meer
Das Körnlein kann ihm nicht entgehn Im Winde wogt sie hin und her.
10 Und muß in Wind und Wetter stehn. 8. Dann schaut vom hohen Himmelszelt
s5. Doch schadet ihm kein Leid noch Die Sonné auf das Ährenfeld
Weh; Die Erde ruht in stillem Glanz,
Der Himmel deckt mit weißem Schnee Geschmückt mit goldnem Erntekranz.
Der Erde Kindlein freundlich zu 6. Die Ernte naht, die Sichel klingl,
is Dann schlummert es in stiller Ruh. Die Garbe rauscht, gen Himmel dringt
6. Bald flieht des Winters trübe Nacht, Der Freude lauter Jubelsang,
Die Lerche singt, das Korn erwacht, Des Herzens stiller Preis und Dank
195. Das Samenkorn.
Zschokke.
Jedes Samenkorn, es sei auch noch so klein, ist merkwürdig durch
seine Beschaffenheit. Es besteht aus einem weißen, mehlartigen Kern und
2o aus einer Schale, die den Kern überzieht, um ihn zu schützen. Außer der
groben, äußern, härtern Schale, die den zarten Kern vor allen Verletzungen
behüten muß liegt zwischen ihr und dem Kerne noch eine feine, dünne Haut,
damit die feste Schale den Kern nicht drücken mögẽ. So hüllt eine liebende
Mutter ihr zartes Kind in mehrere Tücher ein, um es zu schonen, und legt
S die feinsten Tücher gern zunächst um des Kindes Glieder. Welche Fürsorge
des Schöpfers für das Allerkleinste in seiner Natur! Wie manche Eltern
haben für ihre eigenen Kinder und deren Gesundheit nicht so viel Sorgfalt,
als Gott für das Leben des kleinsten, oft kaum dem Auge sichtbaren Samen
korns der gemeinsten Pflanze. AÄber auch das Innere des Samenkörnleins
zo ist merkwürdig. Man entdeckt darin einen kleinen Punkt, der erhaben ist.
Man nennt ihn das Herzchen; es ist der Keim der künftigen Pflanze, der
erste Anfang zum Kornhalm oder zum Eichbaum. Selbst also auch die
mehligen Teile sind nur eine Hülle; sie dienen dem jungen Keinme als erste
Nahrung, so lange er nicht hervorgetrieben, noch keine Wurzeln und Blätter
zs gebildet hat, um Nahrung aus Luft und Erde einzusaugen. Sie sind dem
jungen Pflanzenkinde gleichsam die erste Muttermilch, durch welche es er
halten wird, bis es fähig ist, stärkere Kost zu genießen. — Wenn nun im
Frühjahr die Strahlen der Sonne den aufgetauten Erdboden durchwärmen,
regt sich der wohlberwahrte Keim und schwillt von der Nahrung, daß die
o ihn umgebende Schale zerplatzt, und er hervordringen kanu. VDie Kraft,
welche dieser schwache Keim hat, indem er den Kern anschwellt, ist er—
staunenswürdig. Wenn man ein Gewicht von fünfundsiebenzig Kilogramm
auf Erbsen legt, die man durch Anfeuchtung zum Keimen lockt, so wird das
Gewicht durch das Schwellen der Erbsen bewegt, und der Keim dringt her—