38
Der Zweig sah ganz flach aus, wie gepreßt. Auf der Oberseite
saßen viele kleine Blätter an kurzen Stielen. Auf der Unterseite
sah ich lauter ganz kurze, dicke, weißliche Fransen. Sie sahen
beinahe aus wie Füße. Unser Lehrer sagte nachher, es wären
Kletterwurzeln. Wir fanden so viel Efeu, daß wir unsere Hüte
damit bekränzten, und nahmen ein paar Zweige mit als Ableger.
Ich habe meinen eingepflanzt und glaube, daß er anwächst.
„Nein, aber jetzt habe ich etwas!“ rief ich mit einem
Male, „das allerschönste hab' ich gefunden!“ Es war eine
Osterblume. Sie kam aus dem Boden zwischen den Efeublättern.
Ihre krausen, bräunlichen Blättchen waren noch halb zusammen—
gefaltet; ihre hübsche, rosa Blume war noch zu und hing herunter
wie eine kleine, längliche Glocke. Nachher fanden die andern auch
noch Osterblumen. Einige waren schon ganz weit offen. Ihr
weißer Stern leuchtete aus den braunen, dürren Blättern, die
von den Bäumen heruntergefallen waren und den Boden be—
deckten. Unter diesen Blättern war es ganz grün. Wir fühlten
mit der Hand, es war weich wie Sammet. Wenn man darauf
ging, war es gerade wie eine Fußdecke. Es war nicht Gras,
sondern Moos. Wir nahmen auch davon etwas mit nach Hause.
Aber Gras fanden wir auch. Nur war es gelb und braun und
dürr. „Das ist vom vorigen Jahre,“ sagte Otto. Das dürre Laub
und das dürre Gras raschelte laut, als wir hindurchgingen.
„Ein Schmetterling! ein Schmetterling!“ schrie Hans. Auch
wir sahen ihn bald. Er war ganz wunderhübsch. Hellgelb war
er, und auf jedem Flügel blinkte ein kleiner, roter Fleck. Wir
liefen über Stock und Stein; aber wir konnten ihn nicht fangen.
Wir sprangen über drei Gräben weg; aber den Schmetterling
bekamen wir doch nicht. Manchmal setzte er sich hin. Dam
sah ich, wie seine hübschen, gelben Flügel nach oben zusammen—
klappten und leise zitterten; aber wenn ich die Hand ausstreckte
— schnell war er wieder weg.
Fritz wollte nach dem Schmetterling werfen. Er warf
seinen Hut nach ihm. Plötzlich lag Fritz im Graben und sein
Hut auch. Wir lachten und schrieen: „Bist du naß?“
Fritz lachte auch. „Nein, es ist ja beinahe kein Wasser
im Graben; aber ich habe etwas gefunden, etwas Wunder—
schönes! Kommt schnell her!“
Bremer Lesebuch. Viertes Schuljahr.