118 J. Allerlei Geschichten.
208. Der Rabe und der Fuchs.
EVin Rabe hatfte einen Käse gestohlen und sich damit
auf den Ast eines Baumes gesetzt. Den Käse roch ein
Fuchs, der eben vorüberging. „Sei mir,“ spricht er zum
Raben, „herzlich gegrübt! Ich freue mich, dich hier zu
finden. PErlaube mir, mich satt an dir zu sehen; denn du
bist schöner als ein Pfau. Wie schön mub erst deine
Stimme und dein Gesang sein!“ Der Rabe kann sich vor
FPreude kaum fassen, als er das Lob des Puchses hört.
Er denkt: Noch mehr wirst du gefallen, wenn du auch
deine Stimme hören lässest. Er sperrt den Schnabel
auf. Sein Räse fällt herab. Der Fuchs hat jetzt, was
er wollle, und lacht den Raben aus, der sieh durenh
Schmeichelei hat betrüũgen lassen. Ad Wicnnn
209. Knabe und Eichhörnchen.
„Ich weiß, daß du gern Nüsse hast; so komm, Eichhörnchen, bei mir
zu Gast'!“ — Eichhörnchen spricht: „Das mag ich nicht! Denn käm'
ich einmal in dein Haus, ich käm' wohl nimmermehr hinaus.“ — Der
Knabe spricht: „O fürcht dich nicht! Mit allem, was nur gut dir
schmeckt, wird täglich dir der Tisch gedeckt!“
Eichhörnchen spricht: „Das brauch' ich nicht! Gefangen sein bei
Leckerbisfen, davon will ich, mein Kind, nichts wissen! Viel lieber bleib'
im Wald' ich hier und such' die Nüsse selber mir; von Ast zu Aste hüpf
ich frisch und deck' im Freien mir den Tisch! Mehr als ich brauche,
fiud' ich noch, wenn ich nur suche, spät und früh; und was man selbst
mit Fleiß und Müh' verdient, das schmeckt am besten doch!“
Rud. Löwenstein.
210. Die beiden Ziegen.
Zwei Ziegen begegneten sich auf einem schmalen Stege, der über
einen Waldstrom führte; die eine wollte hinüber, die andre herüber.
Geh mir aus dem Wege!“ sagte die eine. „Das wäre schön!“
rief die andre; „ich war zuerst auf der Brücke. Geh du zurück und
laß mich hinüber!“ „Ich will nicht!“ sagte die erste; „ich habe so viel
Recht wie du.“ So wechselten sie noch viel Worte miteinander.
Weil nun jede auf ihrem Sinne beharrte, so kam es zwischen beiden
zuletzt zum Kampfe. Sie hielten ihre Hörner vorwärts und rannten