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42. Die Singvögel.
Ein freundliches Dörfchen war von einem ganzen Walde
fruchtbarer Bäume umgeben. Die Bäume blühten und dufteten
im Frühlinge auf das lieblichste. Auf ihren Nten und in den
Hecken umher sangen und nisteten allerlei muntere Vögelein.
Im Herbste äber waren alle Zweiglein reichlich mit Äfeln,
Birnen und Zwetschen beladen. Da fingen einige böse Buben
an, die Nester der Vögel auszunehmen. Die Vögel zogen daher
aus dem Orte nach und nach hinweg. Man hörte an den
schönen Frühlingsmorgen kein Vöglein mehr singen, und in den
Gärten war es ganz still und traurig. Die schädlichen Raupen
wurden sonst von den Vögeln weggefangen, aber jetzt nahmen
sie überhand und fraßen Blätter und Blüten ab. Da standen
die Bäume kahl wie mitten im Winter, und die bösen Buben,
die sonst köstliches Obst im überfluß hatten, bekamen nicht
einmal einen Apfel mehr zu essen.
Nimmst du dem Vogel Nest und Ei
istss mit Gesang und Obst vorbei.
Laß doch in Ruhe, liebes Kind,
die Tierchen, die unschädlich sind
CEhr. von Schmid.
43. Vergiß —mein — nicht!
Als Gott der Herr Himmel und Erde erschaffen hatte und
alles, was auf der Erde ist, gab er den Pflanzen ihre Namen und
befahl ihnen, die Namen wohl zu behalten. Ein Blümlein aber,
blau von Farbe wie der wolkenlose Himmel, kam bald zurück
zu dem Schöpfer. Mit einer Thräne im Auge sagte es klagend;:
„Herr, ich habe im Geräusch der Menge meinen Namen ver—
gessen. Wie hast du mich genannt?“ Und der Herr sprach:
„Vergiß — mein nicht!“ —
Als das Blümlein der Rede nachdachte, zog es sich zurück
an den stillen Bach in die Einsamkeit. Da glänzen bis auf
diesen Tag die blauen Auglein der Pflanze mit den goldnen
Sternen in der Mitte. Wenn aber jemand das Blümlein sucht
und pflückt, so ruft ihm noch heute der liebe Gott durch das—
selbe zu: „Vergiß —mein — nicht!“