nicht in dem Schlafe stören. Und es litt lieber ein wenig Durst, als
daß es geschrieen hätte.
Da kam ein Englein hereingeflogen, das hatte in seiner Hand ein
silbernes Fläschchen; darin war Arzenei, die auch den Durst stillete.
Und das Engelchen trat mit dem Fläschhhen an das Bett und sagte:
„Liebes Kindlein, komm trinke einmal aus meinem Fläschchen; dann
wirst du auch bald wieder gesund.“ Weil das Engelchen so schön war,
und so lieb aussah, so trank das Kindlein, und fürchtete sich nicht.
Darauf flog das Engelchen wieder fort.
Als nun die Mutter erwachte, war das Kindlein gesund, und es
erzählte seiner Mutter von dem Engelchen mit dem silbernen Fläschchen.
67. Das Geislein auf dem Eise.
Weißt du, wie es dem Geislein ging, das auf's Eis gelaufen
war? Die Mutter hatte ihm gesagt: „Das Eis ist glatt, und wenn
man ausgleitet, dann füllt man hart, und man kann das Beinchen
brechen.“ Allein das Geischen war muthwillig und leichtsinnig, und
meinte, die Mutter sei gar zu ängstlich, und wer gut laufen und springen
könne, brauche sich nicht zu fürchten. Dazu war das Eis so schön blank
und so glatt wie ein Spiegel. Da ging es hin und wollte schleifen,
wie die großen Knaben; aber als es mitten auf dem Eise war, rief
ihm das Lämmchen zu: „Ach, wenn dich deine Mutter sähe!“ Da
wollte das Geislein erst recht keck sein und dem Lämmchen zeigen, daß
es sich nicht fürchte, und that einen Sprung; plump! da lag es, und
knack! war sein Beinchen entzwei. Es konute nicht wieder aufstehen,
sondern mußte jämmerlich schreien, bis die Leute kamen, und es nach
Hause trugen. Da kam der Herr Doctor, und band ihm das Beinchen
wieder fest; aber es litt Schmerzen, als wenn es lauter Nadeln in dem
Beinchen stecken hätte. Und viele Tage mußte es still liegen, und durfte
nicht aufstehen, und konnte nicht springen, und bekam nichts zu essen als
Arzenei. Da sagte das Geislein: „Ach, liebe Mutter, was bin ich für
ein thörichtes Kind gewesen. Hätte ich dir gefolgt, so wäre mein Beinchen
noch ganz, und ich hätte alle die schrecklichen Schmerzen nicht gelitten.
Aber künftig sollst du auch sehen, wie gehorsam ich bin.“
68. Wolf und Kranich.
Der Wolf hatte ein Kalb geraubt, und fraß es mit großer Gier.
Da kam der Fuchs, und sprach: „Oheim, seid doch kein Vielfraß! Ihr
könnt an der Hälfte genug haben. Schlingt auch nicht so gierig; denn
es nimmt's ja euch Niemand.“ Der Wolf aber kehrte sich nicht daran,
sondern fraß, was er konnte.
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