Das erste klassische Zeitalter.
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Von seiner höchsten Würdigkeit
In dns schmählichste Leid!
Ihn ergriff die Miselsucht (Aussatz).
Als man diese schwere Zucht,
Die der Herr ihm sandte,
An seinem Leib erkannte,
Da ward er Jedermann zur Last.-
— So fuhr denn gen Salerne,
Wohlgemut und gerne
Mit dem Herrn das Mägdelein.
Was mochte nun ihr Kummer sein,
Als daß so fern die Reise ging,
Und sie den Tod nicht gleich empfing?
Als er sie endlich brachte,
Wohin er gedachte,
Und er da den Meister (Arzt) fand,
Da ward ihm fröhlich gleich zur Haud
Von dem Ritter gesagt,
Hier brächt' er eine solche Magd,
Wie er begehrt öor langer Zeit;
Und ließ ihn sehn die süße Maid.
Unglaublich schien ihm dies zu sein.
Er sprach: „Mein Kind, hast du allein
Dich bestimmt zu solchem Gang,
Und bringt nicht Bitte oder Zwang
Deines Herren dich dazu?
Zur Antwort gab sie ihm mit Ruh)
Daß sie es frei beginne
Uild ganz nach eignem Sinne.-
— Als sich solcher Zwist entspann,
Hub der arme Heinrich an:
„Wie ihr Herren alle lvißt,
So hatte mich vor kurzer Frist
Eine Krankheit so entstellt,
Daß ich zum Abscheu war der Welt
Nun scheut mich weder Manu noch Weib,
Denn gereinigt ward mein Leib
Auf Gottes guädiges Geheiß.
Nun rate, wer zu raten weiß,
Wie ich's dem vergelten kann,
Durch den ich dieses Heil gewann,
Die Gnade, die mir Gott erwies,
Als er gesund mich werden ließ."
Sie sprachen: „Wißt Ihr, was Ihr
thut?
Beschließet, daß ihm Herz und Mut
Immer unterthänig sei."
Sein traut Gemahl stund noch dabei;
Er blickte liebevoll sie an,
Küßte sie und sprach sodann:
„Euch Herren ward wohl schon gesagt,
Daß ich dieser guten Magd
Die hier an meiner Seite steht,
Verdanke, daß ihr heil mich seht.
Sie ist so frei, als ich nur bin:
Also rät mir all mein Sinn
Sie zu frei'n vor aller Welt.
Wenn es Gott dem Herrn gefällt,
Will ich sie mir verbunden sehn.
Kann es aber nicht geschehn,
So will ich sterben ohne Weib,
Da ich Ehr' und reinen Leib
Ihr verdanke ganz allein.
Wollt ihr mir nun gewärtig sein.
So bitte ich euch Alle
Daß es euch wohlgefalle.
Da sprachen seine Räte gleich
Aus Einem Munde, arm und reich,
Daß es gut und löblich sei;
Pfaffen waren auch dabei,
Sie ihm zum Weib zu geben.
Nach langem, glücklichen xiebcn
Empfingen sie zu Lohne
Die süße Himmelskrone.
So sei auch uns beschieden
Nach dem Lebe» hienieden
Der Lohn, den sie bekamen.
Den gebe Gott uns! Amen.
C. 21T i u n e g, e f a n g.1
1. Dietmar von Eist.
Dietmar von Eist (Aist, Ast) lebte um die Mitte des 12. Jahrhunderts in Thurgau.
Der
Eine Fraue stand alleine.
Und blickte über Haide,
Und blickte nach dem Lieben,
Da sah sie Falken fliegen:
Falke.
„So wohl dir, Falke, daß du bist!
Du fliegt wohin dir lieb ist.
Du suchst dir in dem Walde
Einen Baum, der dir gefalle.
1 Fast durchgängig nach „Simrock: Lieder der Minnesinger; Elberfeld, R. L. Friedrichs, 1857.