Metadata: [Teil 3 = Kl. 6] (Teil 3 = Kl. 6)

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Denn er hatte wahrscheinlich vergessen, daß es nicht gut sei, einem großen 
Herrn etwas abzuschlagen. Vom Knurren kam es zum Beißen, und ehe 
sich der Bäcker von seiner grünen Bank vor dem Hause erheben konnte, 
lag sein Hündlein mit zermalmtein Genick vor ihm, und der Feldmann 
lief mit dem eroberten Knochen und mit eingezogenem Schweife davon. 
Sehr ergrimmt und entrüstet warf der Herr des Ermordeten dem 
Raubmörder einen gewaltigen Stein nach. Aber was half's? Die Hand¬ 
granate flog nicht dem Hunde an den Kopf, sondern dessen Besitzer durch 
das Fenster mitten auf den Tisch, an dem er gerade die Zeitung las, und 
machte ein Loch hinein. Ohne zu fragen, woher der Schuß gekommen 
sei, riß der Gerber den zertrümmerten Fensterflügel auf und fing an zu 
schimpfen. Der Nachbar in der weißen Schürze und mit den aufgestülpten 
Hemdärmeln blieb nichts schuldig, Kinder und Leute liefen zusammen, 
und — hätt' ich ihn nur sehen können! — Satan stand gewiß in einer 
Ecke der Gasse und blies mit vollen Backen in das Feuer. 
Der Bäcker verließ den Kampfplatz zuerst, aber nur um seinen 
Nachbar bei Gericht zu belangen. Die Sonne ging über dem Zorne der 
beiden Männer unter, und den Tag darauf wurden sie vor Gericht ge¬ 
laden. Der Gerber wurde verurteilt, den totgebissenen Mordax mit einem 
Reichstaler zu büßen, da doch, wie er sich als Jagdliebhaber ausdrückte, 
der kleine Schäker nicht einen Groschen wert gewesen sei. Der Bäcker 
mußte für den zertrümmerten Fensterflügel und das Loch in der Zeitung 
nicht viel weniger bezahlen und sich mit seinem Widersacher in die ange¬ 
laufenen Gerichtskosten teilen. 
Von nun an war zwischen den beiden Familien eine große Kluft 
befestigt. Hinüber und herüber über die Gasse flog kein freundliches Wort 
mehr. Ging die Gerberin links zur Kirche, so nahm die Nachbarin 
ihren Weg rechts; saß der Bäcker im Posthanse außen in der Stube beim 
Bier, so nahm der Gerber seinen Platz im Kabinett. Für den ganz 
schuldlosen Teil, für die Kinder des Gerbers, gaben weder der Osterhase, 
noch der gute Märtel, noch das heilige Kind durch die Frau Patin mehr 
etwas ab. 
So ging es fast drei Jahre. Einmal, am Ende des dritten, setzten 
sich der Gerber und seine Hausfrau nachmittags an den Tisch, um ihren 
Kaffee zu trinken. Aber als die Gerberin die Tischlade herauszog, war 
kein Wecken zum Einbrocken darin. Ihr kleiner Helm, der neben ihr auf 
den Zehen stand und auch hineinschaute, rief sogleich: „Mutter, einen 
Groschen! Ich hole das Brot!" Dann wandte er sich in seiner kindlichen 
Eilfertigkeit an den Vater und sagte: „Heut' aber lauf' ich nicht lange
	        
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