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im Zwangswege (Expropriation) ist nur bei bestimmten Ausnahmen
zulässig. Jeder Deutsche ist in der Wahl des Ausenthaltsortes und
des Erwerbes durch keine gesetzlichen Schranken eingeengt (Frei—
zügigkeit). Er hat seinen Unterstützungswohnsiß in dem Orte, in
dem er sich nach dem 16. Lebensjahre zuletzt ununterbrochen ein Jahr
aufhält. Jedem Deutschen steht die Freiheit der Auswanderung
zu. Nur die Wehrpflicht erfordert einige Einschränkungen. Jeder
Deutsche besitzt Glaubens- und Religionsfreiheit. Alle Religions—
bekenntnisse sind gleichberechtigt. Die Kirchengemeinden regeln ihre
Angelegenheiten selbständig. Im Deutschen Reiche besteht die Preß—
freiheit. Jeder hat das Recht, seine Gedanken durch Wort, Schrift
und Bild zum Ausdruck zu bringen. Die Deutschen dürfen sich
zum Zwecke von Beratungen versammeln, ohne darin durch die
Polizei behindert zu werden GVereinsgesetz). Niemand darf unge—
strafl die Rechte eines anderen antasten. Die Regierung hat für die
innere Sicherheit des Landes zu sorgen. Sie kann zu diesem Zwecke
in besonderen Notfällen den Belagerungszustand über eine Stadt
oder einen Landesteil verhängen.
Die staatsbürgerlichen Pflichten beruhen in der Treue und im
Gehorsam gegen die Obrigkeit sowie in der Ausübung der allgemeinen
Steuer-⸗, Wehr⸗ und Schulpflicht. Ebenso hat jeder Deutsche die
Pflicht, bürgerliche und staatliche Ehrenämter zu übernehmen und
auszuüben. Jeder Deutsche soll sich seiner Nationalität voll bewußt
sein. Er muß jederzeit und an jedem Orte für das Wohl des
Reiches eintrelen und an seinem Teil daran mitwirken, daß die
Wohlfahrt des Reiches gefördert wird. Diese Aufgabe kann er be—
sonders bei Wahlen und in Versammlungen erfüllen. Er kann
Vorschläge an geeigneter Stelle für bessere und nützlichere Staats—
einrichtungen geben. Jeder Bürger des Deutschen Reiches muß
durch einen ehrenhaften Lebenswandel dafür Sorge tragen, daß
durch seine Person das Reich an keiner Stelle geschädigt wird.
Nur wenn alle Bürger für das Wohl des Reiches in ihrem Leben
tätig sind, kann das Reich gedeihen. Zu Kriegszeiten ist es im
besonderen selbstverständliche Pflicht eines jeden Angehörigen des
Deutschen Reiches, mit Gut und Blut für das Vaterland einzutreten.
Die Freiheit, Unabhängigkeit und ehrenvolle Stellung des Deutschen
Reiches wahren zu helfen, ist Aufgabe jedes Deutschen.
H. Otto in „Bürgerkunde“. 2. Auflage. Berlin 1914.
92. Rechtspflege im Reiche.
Für die Rechtsprechung sind in Preußen und im Deutschen Reiche das
Bürgerliche Gesetzbuch (Zivilrecht) und das Strafgesetzbuch für das Deutsche
Reich (Strafgesetzbuch) und viele andere Gesetze maßgebend. Zur Ausübung
der zivilrechtlichen Pflege, der Strafrechtspflege und der freiwilligen Gerichts⸗
barkeit (Beurkundung., Sicherung des Nachwelses von Rechten und Rechts—
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