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sator unserer Flotte. Ein dreimaliges Aufklopfen ertönt; das ist
das Zeichen, daß der Kaiser naht; das lebhafte Stimmengewirr ver—
stummt.
In dem Augenblick, da der Kaiser erscheint, bringt der Präsident
des vorigen Reichstages, Dr. Kaempf, das Hoch auf den Kaiser aus.
Der Kaiser, in der grauen Felduniform der Generale, ist auf den Platz
vor dem Thronsessel getreten, hat das Haupt mit dem Helm bedeckt
und aus der Hand des Reichskanzlers die Thronrede entgegen—
genommen. Er beginnt zu lesen, und es ist, als ob in seiner Stimme
die Größe dieser Stunde, die Schwere ihrer Verantwortung mitklingt.
Die Thronrede weist darauf hin, daß Deutschland fast ein halbes Jahr—
hundert auf dem Weg des Friedens verharrt hat, daß die Versuche,
Deutschland kriegerische Neigungen anzudichten und seine Stellung in
der Welt einzuengen, unseres Volkes Geduld oft auf harte Proben
gestellt haben. „In unbeirrbarer Redlichkeit,“ sagt der Kaiser, „hat
meine Regierung auch unter herausfordernden Umständen die Ent—
wicklung aller sittlichen, geistigen und wirtschaftlichen Kräfte als
höchstes Ziel verfolgt.“ So ist es, ein lautes Bravo bestätigt es dem
Kaiser. Fortfahrend erinnert er an das Verbrechen von Serajewo und
an die alte, von uns treu bewahrte, von Rußland schnöde gebrochene
Freundschaft mit unserem östlichen Nachbar. „Uns treibt nicht Er—
oberungslust, uns beseelt der unbeugsame Wille, den Platz zu be—
wahren, auf den Gott uns gestellt hat, für uns und alle kommenden
Geschlechter.“ Des Kaisers Stimme ist freier und voller geworden,
das Bravo der Reichstagsabgeordneten braust so mächtig, daß der
kaiserliche Redner erst nach einer Pause fortfahren kann . . . In „auf⸗
gedrungener Notwehr, mit reinem Gewissen und reiner Hand er—
greifen wir das Schwert“. Wieder der brausende Widerhall. Der
Kaiser hat dem Ausdruck gegeben, was alle erfüllt, die hier dem
Oberhaupt des Reiches gegenüberstehen. „Auf Sie, geehrte Herren,
blickt heute, um seine Fürsten und Führer geschart, das ganze deutsche
Volk. Fassen Sie Ihre Entschlüsse einmütig und schnell, — das ist
mein innigster Wunsch.“ So schließt der Kaiser, — doch nein, er
schließt nicht, er hat bei den letzten Worten das Manuskript auf den
Thronsessel geworfen, und frei sprechend erinnert er an die Worte,
die er am 1. August vom Balkon des Schlosses zum Volke gesprochen
hat: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur Deutsche.“ Und
dann fordert er die Vorstände der Parteien auf, vorzutreten und ihm
in die Hand zu geloben, daß alle fest entschlossen sind, „ohne Partei—
unterschiede, ohne Standes- und Konfessionsunterschiede zusammenzu—
halten mit mir, durch dick und dünn, durch Not und Tod.“ Da treten
fie vor, die Erwählten und Führer des Volkes, und Hand in Hand
und Auge in Auge stehen Kaiser und Bürger einander gegenüber und
schließen einen heiligen Bund, an dem alle Macht und List unserer
Feinde zuschande werden soll.
„Es lebe Seine Majestät der Deutsche Kaiser Wilhelm der
Zweite,“ ruft der bayrische Bundesratsbevollmächtigte. Jubelnd
flimmt die Versammlung ein, und brausend erklingt, von allen ge—