Full text: Deutsche mundartliche Dichtungen

„Der Winterawend“ und „De Geldhapers“ uns heute vielleicht 
keinen reinen Genuß mehr gewähren können, so verdienen sie doch 
Beachtung wegen der großen Wirkung, die sie ausübten. Denn an 
sie knüpft die weitere Entwicklung der mundartlichen Dichtung an. 
Voß war auch der erste Dialektdichter, mit dem Goethe sich litte— 
rarisch beschäftigte. Er veröffentlichte 1800 in der Jenaischen All— 
gemeinen Litteraturzeitung eine ausführliche Besprechung der 
„Lyrischen Gedichte“ von J. H. Voß, in der er allerdings zwischen 
den hochdeutschen und den mundartlichen Gedichten nicht unterschied. 
Nur diese kann er aber gemeint haben, wenn er dort sagte: „Zu 
einem liebevollen Studium der Sprache scheint der Niederdeutsche 
den eigentlichsten Anlaß zu finden. Von Allem, was undeutsch ist, 
abgesondert, hört er nur um sich her ein sanftes behagliches Ur— 
deutsch, und seine Nachbarn reden ähnliche Sprachen. Ja, wenn er 
ans Meer tritt, wenn Schiffer des Auslandes ankommen, tönen 
ihm die Grundsilben seiner Mundart entgegen, und so empfängt er 
mances Cigene, das er selbst schon aufgegeben, von fremden Lippen 
zurück und gewöhnt sich deshalb mehr als der Oberdeutsche, der an 
Völkerstämme ganz verschiedenen Ursprungs angrenzt, im Leben 
selbst auf die Abstammung der Worte zu merken.“ 
Voß ist später zur Dialektpoesie nicht mehr zurückgekehrt; daß 
er ihr aber noch immer reges Interesse entgegenbrachte und sich 
von ihr lebhafte Wirkungen versprach, zeigen einmal seine Beziehungen 
zu Hebel, dem er während seines Heidelberger Aufenthaltes (1805 
bis 1826) persönlich nahetrat, sodann ein sonderbarer Vorschlag, 
den er allen Ernstes dem Markgrafen Karl Friedrich von Baden 
machte: er möge statt eines Hofpoeten einen Landdichter in seine 
Dienste nehmen; dieser werde „Herz und Gemüt antreiben, die 
Sitten des Volkes zu verbessern, die Freuden eines unschuldigen 
Gesanges zu verbreiten, jede gute Einrichtung des Staates durch 
seine Lieder zu unterstützen und besonders dem verachteten Land— 
mann feinere Begriffe und ein regeres Gefühl seiner Würde beizu— 
bringen.“ Bolte Der Bauer im Lied 1890 S. 10) 
Johann Peter Hebel, der von Voß stark beeinflußt war, 
hätte dieser „Landdichter“ werden können. Ehe wir uns aber ihm 
zuwenden, müssen wir zweier Dichter gedenken, die unabhängig von 
Voß ihre eigenen Wege gingen: des Nürnbergers Grübel und 
des Zürichers Usteri. 
Kein Geringerer als Goethe hat Grübel in die deutsche 
Litteratur eingeführt. Zweimal hat er seine Dichtungen, die zumeist
	        
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