Laufbahn abrufen konnte, und wies ihn mehr als je auf jene höchste
Macht hin, der auch der Gewaltigste auf Erden sich beugen muß.
w. von Giefebrecht, Geschichte der deutschen Raiserzeit.
35. Heinrich IV vor Canossa.
Als der König in Speier vernahm, dass Gregor seine Busse in
Born nicht annehmen wolle, vielmehr seine Heise nach Deutschland auf
alle Weise beschleunige, entschloss er sich schnell, dem Papste, ehe er
noch die Alpen erreichte, entgegenzutreten, um ihn zur Absolution zu
bewegen. Der Plan zur Flucht von Speier war schnell entworfen und
glücklich ausgeführt. Einige Tage vor Weihnachten entkam der
König mit seiner Gemahlin, mit dem kleinen Konrad und einem treuen
Diener seinen Wächtern. Die deutschen Fürsten müssen einen solchen
Anschlag des Königs erwartet haben, da die Pässe der Alpen sorglich
gehütet wurden; aber Heinrich schlug einen Weg ein, wo ihn die Nach¬
stellungen seiner Feinde nicht erreichen konnten. Bei Genf über die
Bhone setzend, erreichte er bald das Gebiet seiner Schwiegermutter, der
Markgräfin Adelheid von Susa, die auf alle Weise seine Reise, deren
Beschwerden sich mit jedem Tage steigerten, unterstützte.
Der König wählte den Weg über den Mont Cenis, und die ohnehin
mühevolle Strasse bot gerade damals fast unübersteigliche Schwierigkeiten.
Schon sehr früh war der Winter mit unerhörter Strenge eingetreten,
und die Kälte dauerte in ganz ungewöhnlicher Weise an. Grosse Schnee¬
massen bedeckten das obere Deutschland und die Alpengegenden; Rhein
und Po trugen monatelang Rosse und Wagen. Grosse Not standen
der König und seine Begleiter aus, bis sie die Pafshöhe erstiegen¬
hatten; aber die Mühen fingen doch erst recht an, als man den Gipfel
erreicht hatte und das Hinabsteigen begann. Unmöglich war es, auf
dem abschüssigen, spiegelglatt gefrorenen Boden sich zu halten, und
mehr als einmal zweifelte man, je das Thal zu erreichen. Kriechend
auf Händen und Füssen oder die Schultern der Führer umklammernd,
bald strauchelnd, bald weite Strecken hinabrollend, kamen die
Männer endlich hinunter. Die Königin mit ihren Dienerinnen wurden
auf Rofshäute gesetzt und so hinabgezogen.
Von allen Seiten strömten die Widersacher des Papstes zuhauf.
Ein gewaltiges Gefolge, gleichsam ein Heer, sammelte sich um den
König; es hätte bei ihm gestanden, dem Papste mit gewaffnetcr Hand
entgegenzutreten, und nur mit Mühe überzeugte er seine Anhänger, dass
die Klugheit ihm rate, für den Augenblick zu tveichen.
Inzwischen hatte der König erfahren, dass sich Gregor nach
Canossa begeben habe, und brach unverweilt auf, um diese Burg zu
erreichen.
Auf einem nackten, hohen und fast nach allen Seiten abschüssigen
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