Full text: Sammlung deutscher Gedichte für Schule und Haus

Balladen, Romanzen. 
Doch keiner verzagt, und keiner erschlafft, 
Sie kämpfen sich durch mit Riesenkraft. 
55 Und wie das Boot aus der Brandung fliegt, 
Da sind sie am Land und haben gesiegt. 
Da ist auch Harro; sein erstes Wort: 
„Habt ihr sie alle?“ „Nein, einer blieb dort, 
Er hing zu hoch in den obersten Rah'n, 
60 Wir konnten ihm nicht mit Rettung nah'n.“ 
„So holen wir ihn,“ spricht er in Ruh'. 
„Unmöglich, Harro! Der Sturm nimmt zu, 
Wir kommen nicht ab, wir kommen nicht an, 
Wir müssen preisgeben den einen Mann.“ 
65 So meinen sie alle, doch Harro spricht: 
„An Bord! 's ist unsere heilige Pflicht! 
Wer hilft?“ Sie schweigen. „So fahr' ich allein!“ 
Da tritt auf ihn zu sein Mütterlein: 
„Harro, dein Vater blieb draußen in See, 
70 Und nimmer verwind' ich das bittere Weh; 
Auch Uwe, dein Bruder, mein Jüngster, fuhr aus 
Und kommt nie wieder, nie wieder nach Haus, 
Der brave Junge! Ich hatt' ihn so lieb; 
Gott weiß, wo die Flut auf den Sand ihn trieb. 
75 Nun willst auch du noch —“ „Mutter, ich muß! 
Und käm' ich aus Wetter und Wogenguß 
Wie Uwe, dein Liebling, nicht wieder zu Land, 
Wir stehen alle in Gottes Hand.“ 
Sie hält ihn, sie bittet, sie weint und fleht, 
80 Daß er nicht, ihr letzter Hort, noch geht: 
„Denk' an mich, deine Mutter! Ich alte Frau“ — 
„Ja, Mutter, weißt du denn so genau, 
Ob der auf dem Wrack dort, todesmatt, 
Nicht auch daheim eine Mutter noch hat?“ 
85 Er springt ins Boot, vier Mann ihm nach, 
Für solchen Seegang zu wenig, zu schwach, 
Doch fahren sie los und versuchen ihr Glück. 
Dreimal wirft sie die Brandung zurück, 
Dann sind sie hinüber; bald hoch und steil 
90 Saust auf den Kamm, bald wie ein Pfeil 
Schießt tief ins Wellental der Bug 
Des tapfern Boots auf seinem Zug, 
Verfolgt von den Blicken der Bangenden hier; 
Atemlos spähen sie starr und stier. 
95 Die fünf gelangen zu Wrack und Mast; 
Noch hängt im Tauwerk oben der Gast. 
Harro nun entert die Wanten empor, 
Holt selbst ihn herunter, der fast erfror. 
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