Full text: Sammlung deutscher Gedichte für Schule und Haus

Aus verschiedenen Ländern. 
357. Venelianische Sonette. 
Mein Auge ließ das hohe Meer zurücke, 
Als aus der Flut Palladios' Tempel stiegen, 
An deren Staffeln sich die Wellen schmiegen, 
Die uns getragen ohne Falsch und Tücke. 
Wir landen an, wir danken es dem Glücke, 
Und die Lagune scheint zurückzufliegen, 
Der Dagen alte Säulengänge liegen 
Vor uns gigantisch mit der Seufzerbrücke. 
Venedigs Löwen, sonst Venedigs Wonne, 
Mit ehrnen Flügeln sehen wir ihn ragen 
Auf seiner kolossalischen Kolonne. 
Ich steig' ans Land, nicht ohne Furcht und Zagen, 
Da glänzt der Markusplatz im Licht der Sonne: 
Soll ich ihn wirklich zu betreten wagen? 
Dies Labyrinth von Brücken und von Gassen, 
Die tausendfach sich ineinander schlingen, 
Wie wird hindurchzugehn mir je gelingen? 
Wie werd' ich je dies große Rätsel fassen? 
Ersteigend erst des Markusturms Terrassen, 
Vermag ich vorwärts mit dem Blick zu dringen, 
Und aus den Wundern, welche mich umringen, 
Entsteht ein Bild, es teilen sich die Massen. 
Ich grüße dort den Ozean, den blauen, 
Und hier die Alpen, die im weiten Bogen 
Auf die Laguneninsel niederschauen. 
Und sieh! da kam ein mut'ges Volk gezogen, 
Paläste sich und Tempel sich zu bauen 
Auf Eichenpfählen mitten in die Wogen. 
Wie lieblich ist's, wenn sich der Tag verkühlet, 
Hinaus zu sehn, wo Schiff und Gondel schweben, 
Wenn die Lagune, ruhig, spiegeleben, 
In sich verfließt, Venedig sanft umspület! 
Ins Inn're wieder dann gezogen fühlet 
Das Auge sich, wo nach den Wolken streben 
Palast und Kirche, wo ein lautes Leben 
Auf allen Stufen des Rialto wühlet. 
421
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.