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Bewegung in der Geschichte.
Die Germanen als Erben der Griechen.
Man kann die Geschichte in vier große Abschnitte einteilen-
) die griechische Periode,
die griechisch⸗römische Periode,
3) die römisch⸗germanische Periode,
M die germanische Periode.
Bis zum Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. reicht die griechische Periode.
In den zwei letzten Jahrhunderten v. Chr. haben die Römer nach und nach alle
hellenistischen Reiche des Ostens, das griechische Mutterland, Mazedonien, Pergamon,
Bithynien, Rhodos, Syrien und Aegypten unterworfen. Aber „Griechenland besiegte
seinen Sieger“: die griechische Kultur vollendete ihren Siegeslauf, indem sie alle
Länder des römischen Reiches eroberte. Zugleich wurde die römische, die lateinische
Sprache zur höchsten Vollkommenheit ausgebildet. Die Kultur der zwei Jahrhunderte
vor und zwei Jahrhunderte nach Chr. war doppelsprachig: die gebildeten Römer mußten
latein und griechisch sprechen können.
Mit dem 3. Jahrhunderten. Chr. beginnt die zunehmende Auflösung des gewaltigen,
alle Länder um das Mittelländische Meer umfassenden römischen Reichs. Es war
innerlich durchaus verfault und erlag deshalb den wiederholten Anstürmen der Barbaren.
Doch ist die geschichtliche Gntwicklung im Osten und Westen des Reiches sehr ver—
schieden:
Im Osten vollzieht sich die Auflösung langsamer, aber desto gründlicher. Das
oströmische, „griechische“ Kaiserreich mit der Hauptstadt Konstantinopel hat, allerdings
immer mehr zusammenschrumpfend, bis 1453 n. Chr. bestanden. Aber durch den
Islam, besonders durch die Türken, ist nach und nach in ganz Vorderasien, in ganz
Nordafrika, in der Balkanhalbinsel die einst so hohe Kultur völlig erstickt.
Anders im Westen: die Germanen haben im 5. Jahrhunderten. Chr. das west—
römische Kaiserreich zertrümmert, haben Britannien, Gallien, Italien, Spanien,
Karthago erobert. Aber — merkwürdig! — es wiederholte sich derselbe Vorgang, wie
vor einem halben Jahrtausend: damals „besiegten die Griechen ihre Sieger“, die
Römer; jetzt überwanden die besiegten Römer die siegreichen Germanen. Die röm ische
Zivilisation, die römische Kirche, die römische Sprache drang in die Germanen—
länder ein. Die Germanen schrieben ihre Urkunden, ihre Bücher in lateinischer Sprache,
sie lernten in den Klosterschulen die kümmerlichen Reste der römischen Wissenschaft
Zwar war dies herzlich wenig; „die Weisheit eines Jahrtausends war sein säuberlich
auf Flaschen gezogen und so verdünnt, daß auch schwache Köpfe sie vertragen konnten“.
Die Bildung wurde immer geringer und näherte sich bisweilen dem Nullpunkt. Aber
— und dies ist das Wichtigste — die Verbindung mit der antiken Kultur ist niemals
völlig verloren gegangen. —
Die Neuzeit.
Wann beginnt die Neuzeit? Man sagt: mit der Reformation (1517) oder mit
der Entdeckung Amerikas (1492). Aber das sind die zwei hervorragenden Höhepunkte
einer langen aufsteigenden Entwicklung, und wir müssen fragen: wo sind die Anfänge
zu suchen?
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