Full text: Des Mägdleins Dichterwald

So lang' die Mutter weint und wacht, O liebe Mutter, laß dein Leid, 
So steigt aus seinem Grab Und laß mich, wo ich bin. 
Der Knabe spat um Mitternacht O liebe Mutter, laß doch ab! 
Und geht ins Dorf hinab. Was weinst du allezeit? 
Besucht die Plätze rings herum, Die Thränen dringen durch mein Grab, 
Wo er gespielet hat, Nicht trocken wird mein Kleid. 
Und geht dann wieder todtenstumm Die Mutter hört's; o könnt' ich sein 
Hinauf den Kirchhofspfad. Bei dir doch Tag und Nacht!' 
Die Mutter aber weint und wacht Die Mutter ruft's und schlummert ein 
Und weinet immerzu: Und ist nicht mehr erwacht. 
So lange hat auch Nacht für Nacht So konnte dann der Knabe ruhn, 
Der Knabe keine Ruh. Sein Grab ward ringsum grün, 
Und endlich tritt im Sterbekleid Und jeden Frühling sieht man nun 
Er vor die Mutter hin: Drauf Veil und Rosen blühn. 
Die Mutter und das Kind. 
Von Chamisso. 
Werke 83. Aufl. Leipzig 1852. III, 154. — 5. Aufl. Berlin 1864. — Gedichte 19. Aufl. Berlin 1869. S. 154. 
Wie ward zu solchem Jammer O Mutter, in der Erden 
Der stolzen Mutter Lust? Gewinn' ich keine Rast; 
Sie weint in öder Kammer, Wie sollt' ich ruhig werden, 
Kein Kind an ihrer Brust; Wenn du geweinet hast? 
Das Kind gebettet haben Die Thränen fühl' ich rinnen 
Sie in den schwarzen Schrein Zu mir ohn' Unterlaß, 
Und tief den Schrein vergraben, Mein Hemdlein und das Linnen, 
Als müßt' es also sein. Sie sind davon so naß. 
Wie da die Erde, fallend O Mutter, laß dein Lächeln 
Auf den versenkten Sarg, Hinab ins feuchte Haus 
Ihn dumpf und schaurig schallend Mir laue Lüfte fächeln, 
Vor ihren Augen barg, Dann trocknet's wieder aus; 
Hat Thränen sie gefunden, Und scheinet deinem Kinde 
Die nicht zu hemmen sind; Dein Auge wieder klar, 
Sie weint zu allen Stunden Umblühn es Ros und Winde, 
Um ihr geliebtes Kind. Wie sonst es oben war. 
Wenn andrer Lust und Sorgen O weine nicht! sei munter! 
Der laute Tag bescheint, Was helfen Thränen dir? 
Weilt schweigsam sie verborgen Komm lieber doch hinunter 
In finstrer Klaus und weint; Und lege dich zu mir; 
Wenn andrer Schmerzen lindert Da magst du leise kosen 
Die Nacht und alles ruht, Mit deiem Kindelein, 
Vergießt sie ungehindert Du liegst auf weichen Rosen 
Der Thränen bittre Flut. Und schläfst so ruhig ein. 
Wie einst sie unter Thränen Sie hat aus süßem Munde 
Die stumme Mitternacht Die Warnung wohl gehört, 
In hoffnungslosem Sehnen Sie hat von dieser Stunde 
Verstört herangewacht, Zu weinen aufgehört. 
Sieht wunderbarer Weise Wohl bleichten ihre Wangen, 
Das Kindlein sie sich nahn, Doch blieb ihr Auge klar; 
Es tritt so leise, leise, Sie ist hinab gegangen, 
Es sieht sie trauernd an. Wo schon ihr Liebling war. 
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