Full text: [Teil 4 = [Kl. 6], [Schülerband]] (4. Teil = 6. Klasse, [Schülerband])

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finden sollten, ließen von ihrer Verfolgung ab. So lebte Johanna wie ehe¬ 
dem in tiefster Zurückgezogenheit. Wenn sie auch von den Franzosen nicht 
belästigt wurde, war es ihr doch sehr schmerzlich, ihre Vaterstadt noch 
immer unter dem Druck der Fremdherrschaft zu wissen. Als die französischen 
Truppen am 17. September Lüneburg räumten, konnte sie auch nicht froh 
werden, da sie ja nicht wußte, ob die Feinde nicht bald wiederkehren würden. 
Den folgenden Tag rückte der russische General Tettenborn mit Kosaken, 
Lützowschen und Reicheschen Jägern ein. Nun konnte Johanna ihren 
Schlupfwinkel verlassen. Der General erkundigte sich gleich nach seiner 
Ankunft nach dem heldenmütigen Mädchen und lud sie bei sich zur Tafel 
ein, wo ihr der Ehrenplatz an seiner Seite angewiesen und sie aufgefordert 
ward, von ihren Taten und dem ruhmvollen Kampf zu erzählen. In ihrer 
ganzen Erzählung prägte sich ihre hohe Bescheidenheit und ihre aufopfernde 
Hingebung für das Vaterland aus. 
Da bei dem wechselnden Kriegsglück die Franzosen möglicherweise 
wieder nach Lüneburg zurückkehren konnten, hielt man es für ratsam, auf 
alle Fälle für Johannas Sicherheit Sorge zu tragen. Der Major von 
Reiche nahm sich ihrer an und sandte sie zu seiner Gemahlin nach Berlin, 
in deren Hause sie vier Jahre verlebte. Bald nach ihrer Ankunft von einer 
schweren Krankheit, einem Blutsturz, befallen, einer Folge der Erhitzung und 
Erkältung, die sie sich auf der Flucht zugezogen hatte, ward ihr die liebe¬ 
vollste Pflege zuteil. Johannas Verhältnis zur Familie von Reiche, wenn¬ 
gleich ein abhängiges, gestaltete sich doch binnen kurzem zu einem freund¬ 
schaftlichen, sie genoß aller Liebe und Achtung, während sie der Familie 
von Herzen ergeben war. Im Sommer 1814 räumte sie neben ihrem 
hohen Sinne für das deutsche Vaterland in ihrem Herzen auch der Liebe 
eine Stelle ein. Sie machte die Bekanntschaft eines freiwilligen Jägers, 
namens Hindersin, der, Johannas treffliche Eigenschaften alsbald erkennend, 
die herzlichste Zuneigung für sie nährte und um sie warb. Johanna teilte 
seine Gefühle, und sie gelobten einander Herz und Hand. 
Der Wiederausbruch des Krieges führte eine Trennung der Liebenden 
herbei. Von Johannas Briefen an ihren Bräutigam aus dieser Zeit sind 
noch mehrere erhalten. Eine wahrhaft rührende Liebe, eine große Besorgnis 
um den Geliebten, der wieder in den blutigen Kampf gezogen, aber auch 
eine unerschütterliche Gottesfurcht und ein zartes Gemüt tun sich in diesen 
Briefen kund. Mit der Familie von Reiche ging Johanna im Sommer 
1815 zum zweitenmal an den Rhein. Von dort schrieb sie unter anderm 
ihrem Geliebten aus Kleve am 9. Juli 1815: 
„Da nun heute 120 Verwundete hier angekommen sind, bat ich meine 
gnädige Frau, daß sie mir doch erlaubte, etwas Essen für sie zu bereiten 
und sie verpflegen zu dürfen. Mit der größten Freude genehmigte sie 
meine Bitte, und ich war so glücklich, es ihnen selber zu bringen." 
Sie war unermüdlich in ihrer Hingebung für die Verwundeten.
	        
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