Full text: Deutsche Poesie von den Romantikern bis auf die Gegenwart

Anton Graf von Auersperg (Anastasius Grün). 
3. Hier Sonnenblick, Sturmwolken 6. Die andre, lichter Freude Bild, 
dort; Jauchzt selig lächelnd daneben: 
Hier Schweigen, dorten Lieder, „O Meer, o Meer, so licht und mild, 
Und Heimkehr hier, dort Abschiedswort; Wie gleichst du so ganz dem Leben!“ 
ie S j N 
ie eel an unh iedert 7. Fort braust das Meer und über— 
4. Zwei Jungfrau'n sitzen am Meeres⸗ klingt 
strand; Das Jauchzen wie das Stöhnen; 
Die eine weint in die Fluten, Fort wogt das Meer und achl ver— 
Die andere, mit dem Kranz in der Hand, schlingt 
Wirft Rosen in die Fluten. Die Rosen wie die Tränen. 
5. Die eine, trüber Wehmut Bild, 8. Doch über Meer und Wolkenheer, 
Stöhnt mit geheimem Beben: Dem Wechsel und Wandel enthoben, 
„O Meer, o Meer, so trüb und wild, Winkt ewig klar und still und hehr 
Wie gleichst du so ganz dem Leben!“ Ein Äther den Menschen dort oben. 
393. Das Blatt im Buche. 
1. Ich hab' eine alte Muhme, 2. So dürr sind wohl auch die Hände, 
Die ein altes Büchlein hat; Die einst im Lenz ihr's gepflückt; 
Es liegt in dem alten Buche Was mag doch die Alte haben? 
Ein altes, dürres Blatt. Sie weint, so oft sie's erblickt. 
394. Ansere Zeit. 
1. Auf dem grünen Tische prangen Kruzifix und Kerzenlicht, 
Schöff' und Räte, schwarz gekleidet, sitzen ernst dort zu Gericht 
Denn sie luden vor die Schranken unsre Zeit, die Frevlerin, 
Weil sie trüb und unheildrohend und von sturmbewegtem Sinn! 
2. Doch es kommt nicht die Geruf'ne, denn die Zeit, sie hat nicht Zeit, 
Kann nicht stille stehn im Saale welklicher Gerechtigkeit; 
Während sie zwei Stunden harren, ist sie schon zwei Stunden fern; 
Doch sie sendet ihren Anwalt, also sprechend zu den Herrn: 
3. „Lästert nicht die Zeit, die reine! Schmäht ihr sie, so schmäht ihr euch! 
Denn es ist die Zeit dem weißen, unbeschrieb'nen Blatte gleich. 
Das Papier ist ohne Makel, doch die Schrift darauf seid ihr 
Wenn die Schrift just nicht erbaulich, nun, was kann das Blatt dafür? 
4. Ein Pokal durchsicht'gen Glases ist die Zeit: so hell, so rein; 
Wollt des süßen Weins ihr schlürfen, gießt nicht eure Hefen drein! 
Und es ist die Zeit ein Wohnhaus, nahm ganz stattlich sonst sich aus; 
Freilich, seit ihr eingezogen, scheint es oft ein Narrenhaus. 
5. Seht, es ist die Zeit ein Saatfeld; — da ihr Disteln ausgesät, 
Ei, wie könnt ihr drob euch wundern, daß es nicht voll Rosen sieht? 
Cäsar ficht auf solchem Felde Schlachten der Unsterblichkeit; 
Doch auch Memmen zum Entlaufen ist es sattsam groß und weit. 
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