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Konrad Ferdinand Meyer.
3. Die Fackel lodert und wirft einen grellen Schein,
Sie kleiden dich mit dem Hochzeitsschleier ein!
Die Knaben hüpfen empor am Festgelag
Und scherzen ausgelassen zum ernsten Tag.
4. Eine Herrin wandelt in ihrem eignen Raum,
Und ihre Mägd' und die Sklaven atmen kaum.
Ihr ziemt, daß all die Hände geflügelt sind;
Ihr ziemt, daß all die Lippen gezügelt sind.
5. Die blühenden Horen schwingen im Reigen sich:
Dir ward ein Knabe, Julier, freue dich!
Doch wann die Freude schwebt und die Flöte schallt,
Dann“ — singt die Parze — „kommt der Jammer bald.
6. Der Tiber flutet und überschwemmt den Strand;
Das bleiche Fieber steigt empor ans Land;
Der Rufer ruft und kündet von Haus zu Haus:
Vernehmt! Den Julier tragen sie heut' hinaus!
7. Jetzt, kleine Klaudia, trägst du unträglich Leid!
In strenge Falten legst du dein Witwenkleid.
Dein Römerknabe springt dir behend vom Schoß
Und grüßt dich helmumflattert herab vom Roß
8. Die Tuben blasen Schlacht, und sie blasen Sieg..
Da naht's. Da kommt's, was empor die Stufen stieg:
Vier Männer und die Bahre, Klaudia, sind's
Mit der bekränzten Leiche deines Kinds!
9. Jetzt, kleine Klaudia, bist du zu Tode wund“ —
Das Kindlein lächelt. Es klirrt ein Schlüsselbund.
Die Mutter tritt besorgt in die Kammer ein,
Und die Parze bleicht im goldenen Morgenschein.
920. Mit zwei Worten.
1. Am Gestade Palästinas, auf und nieder, Tag um Tag,
„London?“ frug die Sarazenin, wo ein Schiff vor Anker lag.
London!“ bat sie lang' vergebens, nimmer müde, nimmer zag,
Bis zuletzt an Bord sie brachte eines Bootes Ruderschlag.
2. Sie betrat das Deck des Seglers, und ihr wurde nicht gewehrt.
Meer und Himmel. „London?“ frug sie, von der Heimat abgekehrt,
Suchte, blickte, durch des Schiffers ausgestreckte Hand belehrt,
Nach den Küsten, wo die Sonne sich in Abendglut verzehrt.
3. „Gilbert?“ fragt die Sarazenin im Gedräng' der großen Stadt,
Und die Menge lacht und spottet, bis sie dann Erbarmen hat.