Full text: Deutsche Poesie von den Romantikern bis auf die Gegenwart

628 Ferdinand Avenarius 
940. Kornrauschen. 
Bist du wohl im Kornfeld schon gegangen, 
Wenn die vollen Ähren überhangen, 
Durch die schmale Gasse dann inmitten 
Schlanker Flüsterhalme hingeschritten? 
Zwang dich nicht das heimelige Rauschen, 
Stehn zu bleiben und darein zu lauschen? 
Hörtest du nicht aus den Ähren allen 
Wie aus weiten Fernen Stimmen hallen? 
Klang es drinnen nicht wie Sichelklang? 
10 Sang es drinnen nicht wie Schnittersang? 
Hörtest nicht den Wind du aus den Höh'n 
Lustig sausend da die Flügel drehn? 
Hörtest nicht die Wasser aus den kühlen 
Tälern singen du von Rädermühlen? 
15 Leis, ganz leis nur hallt das und verschwebt, 
Wie im Korn sich Traum mit Traum verwebt, 
In ein Summen wie von Orgelklingen, 
Drein ihr Danklied die Gemeinden singen. 
Rückt die Sonne dann der Erde zu, 
20 Wird im Korne immer tiefre Ruh', 
Und der liebe Wind hat's eingewiegt, 
Wenn die Mondnacht schimmernd drüber liegt. 
Wie von warmem Brot ein lauer Duft 
Zieht mit würz'gen Wellen durch die Luft. 
941. Vom Kirschbaum. 
Ist alles ganz kahl und still, 
Nicht mal im Grase sich's regen will, 
Steht alles geduckt, 
Klappert im Frost und muckt 
Mit dem Winter. Der putzt es mit Rauhreif auf, 
Aber keines gibt was drauf. 
Doch im Garten 
Sagt einer: „Ich kann warten.“ 
Ist jemand, du kennst ihn wieder kaum, 
. So dünn ist er worden; der Kirschenbaum. 
Schläft er nicht? 
Trau einer dem Wicht! 
Heute mittag um Uhre eins 
Gab's mal ein Pröbchen Sonnenscheins; 
Darin — ich habe 
Das deutlich gesehn 
Mit seinen Knospen 
280
	        
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