Vorwort.
Es ist freilich oft schwer zu errathen, wo eigentlich die Wurzel des
Aergernisses in solchen Fällen sitzt. Aber auch ängstlichen Gemüthern, an
welche ursprünglich weniger gedacht war, wird jetzt Genüge geschehn sein.
Denn daß Lepels vortrefflicher „Anselm von Bern“ frommen Katholiken
bedenklich erscheine, kann doch niemand im Ernste denken.
Hinzugekommen ist manches von der kriegerischen Lyrik der Jahre
1870 und 1871, welche keineswegs so unbedeutend ist, als manche uns
glauben machen wollen. Dem Mangel einer Dichtung von Annette
Droste-⸗Hülshoff ist jetzt abgeholfen. Von Tieck habe ich auch bei wieder—
holtem Suchen nichts finden können, was sich gelohnt hätte. Von
Scheffel sind einige Lieder, von P. Heyse Sprüche hinzugekommen. —
Die Fabeln von A. E. Fröhlich zu beseitigen, wie ein Recensent forderte,
kann ich mich nicht entschließen. Nach wie vor bin ich überzeugt, daß er
unter den Fabeldichtern unserer neueren Litteratur eigentlich der einzige
echte Poet ist. — Den Kaiser und Abt sowie die Tabakspfeife, beides
ziemlich leicht wiegende Producte, aufzunehmen bestimmte mich der Wunsch
mehrerer Collegen, welche die bei der Jugend besonders beliebten Gedichte
ungern mißten.
Erheblich gewonnen hat diese Auflage an Correctheit der Terte.
Aufs sorgfältigste sind die zu Grunde liegenden Quellen verglichen, man
wird hoffentlich in den Gedichten unserer Klassiker keinerlei Versehen finden.
— Einige Abweichungen sind mit Absicht getroffen worden. Dazu ist ein
Buch, welches zwar auch Beispielsammlung für die Litteraturgeschichte,
aber dies keineswegs ausschließlich sein will, ohne allen Zweifel berechtigt.
So ist bei Bürgers Lied vom braven Manne die Fortlassung der drei
Strophen, worin der Bombast von Orgelton und Glockenton enthalten ist,
geradezu unvermeidlich, wenn das Gedicht als lesens- und lernenswerth
gelten soll. In Arndts Lied vom deutschen Vaterlande ist die achte, in
Kleists Germania an ihre Kinder“ die sechste, in Schenkendorfs Lied auf
Scharnhorsts Tod (wie wohl in allen ähnlichen Büchern) die letzte Strophe,
in Platens „Bildern Neapels“ und in Mörikes „erbaulicher Betrachtung“
sind einige Verse weggeblieben. Hebels allemannische Lieder sind nach
der zweckmäßigen, von Götzinger eingeführten Orthographie abgedruckt,
welche sich an das Mittelhochdeutsche anschließt. Uebrigens folgt das
Buch den orthographischen Grundsätzen, welche der Berliner Gymnasial—
und Realschullehrerverein aufgestellt hat.
Karlsruhe, Mai 1875. Wendt.
V1