Full text: Fünf Bücher deutscher Lieder und Gedichte

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Vierles Buch. 
Es ruft uns mit lebendigem Geräusche 
Des Tages Licht zu irdischen Geschäften, 
Ihr leiblich Theil verleihend den Naturen. 
Die Sonne will auf sich den Blick nur heften, 
Und duldet, daß sie allgebietend täusche, 
Kein Jenseits an den himmlischen Azuren. 
Doch wenn die stillen Fluren 
Scheinbar die Nacht mit ihrer Hüll umdunkelt, 
Dann öffnet sich der Rum' und Zeiten Ferne; 
Da winken so die Sterne, 
Daß unserm Cust ein inn'res Licht entfunlelt. 
Bei Nacht ward die Unsterblichleit ersonnen, 
Denn sehend blind sind wir im Licht der Sonnen. 
Bei Nacht auch überschreiten kühne Träume 
Die Kluft, die von den Abgeschiednen trennet, 
Und führen sie herbei mit uns zu losen; 
Wir staunen nicht, wenn ihre Stimm' uns nennet; 
Sie ruhn mit uns im Schatten grüner Bäume, 
Derweil sich ihre Grüste schon bemoosen. 
Ach, die erblichnen Rosen 
Auf dem jungfräulich zarten Angesichte, 
Das selbst der Tod, gleich nach der That versöhnet, 
Entslellt nicht, nein, verschönet, 
Erblühn mir oft im nächtlichen Gesichte, 
Daß meine Brust ganz an dem Bilde hänget, 
Wovon des Tags Gewüuhl sie weggedränget! 
So ist mir jüngst das theure Kind erschienen, 
Wie auferstanden aus der Ohnmacht Schlummer, 
Eh' noch das dumpfe Grab sie überkommen. 
Uns Traurenden verscheuchte sie den Kummer, 
Und waltete mit ihren süßen Mienen, 
Als wure sie der Heimath nie entnommen. 
Doch heimlich und beklommen 
Schlich sich der Zweifel ein in unsre Seelen: 
Ob sie, uns angehörig, wahrhaft lebte? 
Ob sie als Geist nur schwebte, 
Den herben Tod uns freundlich zu verhehlen? 
Und Keiner wagte sie darum zu fragen, 
Um nicht den holden Schatten zu verjagen.
	        
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