Full text: Fünf Bücher deutscher Lieder und Gedichte

Fünftes Buch. Sübliche Form. 
Und andrem Reiz das Auge zugewendet! — 
Und dieser Rausch, Wahnsinn, so lang' er währet, 
Durch eures Blutes Wallungen genähret, 
Der, wenn er nicht mehr wächst, auch schon geendet, 
Der, meinst du, sei des Lebens höchste Krone?“ — 
So sprach der Geist, mit Mitleid halb und Hohne. 
„Und wohl euch, wenn's so ist! Wenn mit der Helle 
Des Tages, die unmerklich nur verschwindet, 
Der Blumenkelch sich schließt, der Glanz verblühet, 
Der Ton verhallt und so die Nacht sich findet, 
Die Ruh' uns bringt! Wenn allgemach die Welle 
Des Gluthmeers, das den Himmelsraum durchsprühet, 
In tief'rem Roth verglühet, 
Und aus der Röthe sich die Schatten weben 
Zu immer dicht'rer, farbenlos'rer Hülle, 
Bis der Bewegung, der Gestalten Fülle 
Mit Finsterniß unkenntlich sie umgeben! 
Wohl, wenn's so ist, ihr nicht den Taumel mehret, 
Und frischen Trank zu neuem Rausch begehret! — 
„O hütet euch, setzt ihn nicht an die Lippen, 
Den giftigen, verhängnißvollen Becher! 
Ihr wißt nicht, was ihr trinkt! o, setzt ihn nieder! 
Ihr wähnt umsonst, ihr unglückselgen Zecher, 
Von seinem Rande Seligkeit zu nippen! 
Schon ras't ihr, und der Parzen grause Lieder 
Tönt euer Wahnsinn wieder! 
Nicht immer hat sich Liebe selbst verzehret, 
Verglimmend, ruhig, wie der Kerze Flimmer, 
Die um so schneller lischt, als hell ihr Schimmer; 
Weit öfter hat sie euch als sich zerstöret, 
Wenn, wie die Gaben, die Medea sandte, 
Ihr unheilvoll Geschenk zur Flamm' entbrannte!“ —
	        
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