Full text: Lesestücke zum Weltkrieg

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Plötzlich tauchten auf der anderen Seite des Walles schwarze Ge— 
stalten auf — vier Schritte vor uns, und ein langer Schatten schrie auf 
deutsch: „Ergebt euch!“ Das war die Höhe! Neben mir blitzte es auf, 
und der Schatten knickte zusammen. „Seitengewehre aufpflanzen!“ Sie 
flogen nur so auf die Mündungen. Unsere Leute vor und über den 
Wall! Die schwarzen Schatten stoben auseinander. Wie ein Wetter 
fuhren ihnen unsere Leute auf den Leib. Nach einer Minute waren sie 
alle weg. „Zurück über den Damm und aufgepaßt!“ Aller Augen 
spähten über die Böschung, und jeder Zeigefinger lag am Drücker. „Herr 
Feldwebel, wir kriegen Flankenfeuer, links sind sie auf dem Damm!“ 
Herr Gott, wo bleiben die Verstärkungen? Nichts war zu sehen. Nur 
die Kugeln pfiffen jetzt auch von links Ich ließ den linken Flügel nach 
dem Fluß umbiegen; alles, was zu machen war. Plötzlich blitzte es vom 
linken Ufer her auf. Donnerwetter, sollten sie über den Fluß sein? Aber 
nein, das waren deutsche Gewehre, man hörte es am peitschenartigen 
Knall. Nun schrie es auch von drüben: „Ein Bataillon liegt links hinter 
dem Kanal und beschießt den feindlichen rechten Flügel. Der Gegner 
geht schon über den Damm zurück!“ Richtig! Die schwarzen Gestalten 
schoben sich mehr nach links; die Umklammerung war verhindert. Gottlob, 
das war höchste Zeit! Wir schossen nun fest dazwischen, und das Schießen 
wurde drüben schwächer. Hurra, das war geschafft! „Stopfen, Kinder! 
Ihr seht ja doch nichts mehr. Buddelt euch ein und schlaft, von jedem 
Zuge eine Gruppe als Wache!“ Ich hatte über den ganzen Flügel das 
Kommando genommen. Es waren keine Offiziere mehr da. Zwei Leut— 
nants tot, einer verwundet! Außerdem war im Dunkel alles durchein⸗ 
ander gekommen. Unsere Leute gruben nun Löcher in den Wall, und 
dann trat Ruhe ein, d. h. was man so nennt, denn die Nerven ar⸗ 
beiteten wie toll. Und dann kam ein grauer, nebeliger Morgen, der 
langsam den Vorhang von einem traurigen Bilde zog. Da lagen sie 
reihenweise, die armen Leute, zumeist mit Kopfschüssen. Dicht neben mir 
lag mein Bursche, ein braver, tüchtiger Mensch, der nicht von meiner 
Seite gewichen war. Der Schuß saß in der Schläfe. Aber schlimmer, 
viel schlinmer war das Bild jenseits des Walles. Hügel von Leichen 
türmten sich dort, und in den Schützengräben lag alles voll. Belgier und 
Franzosen. 
Kaum graute der Morgen, da kamen auch lange Reihen verwun—⸗ 
deter und unverwundeter Feinde, Jammergestalten in schmutzigen blauen 
Röcken, die Hände hoch in der Luft, wie Ankläger des Schicksals, das 
ihnen die verflossene Nacht beschert hatte. Mancher Finger fuhr an den 
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