Der Freiheitskrieg bis zu Napoleons Abdankung
56. Die Nacht der Siegesbotschaft.
C. A. Tiedge. (23. Okltober 1813.)
1. Erhelle dich, du meine dunkle halle!
Erfülle dich mit Siegesherrlichkeit!
Triumphgesang, ein Welttriumph erschalle!
Verkünde laut: Erfüllet ist die Zeit!
Wer heilig, treu am Glauben hielt, der hebe
Mit mir empor sein freies haupt und lebe!
2. Das Leben war wie ausgelöschte Gluten,
Wie ausgestoßen aus dem Sonnenraum,
hinabgesunken in des Orkus Fluten,
Und oben schwamm des Daseins öder Traum.
Des Todes Stachel ist hinweggerissen,
Der hölle Sieg bedeckt mit Finsternissen.
3. Das Vaterland ist ledig seiner Retten,
Die Wahrheit darf sich ihrem Altar nahn!
Das Recht ist frei, die Seelen zu erretten,
Die tiefverzweifelnd seinen Stern nicht sahn,
Den hehren Stern, der Gottes Reich verkündet
Und jede Brust, die an ihn glaubt, entzündet!
4. Bist du es, Wahrheit, die mich aus der langen
Verstummten Nacht in diese Strahlen hub?
Ist wirklich abgewischt von meinen Wangen
Die Träne, die so tiefe Furchen grub?
Darf sich das herz dies hochgefühl erlauben,
Ich zittre noch, kaum glaub' ich meinem Glauben.
5. Noch lag vor meinem Blick ein dunkles Walten,
Von halb verhüllten Sternen still umkreist,
Und von der Kraft des Glaubens festgehalten,
Besuchte voll Erinnerung mein Geist
Den Tempelraum, wo meine Götter schwanden,
Die Stelle, wo mein Vaterland gestanden.
Schmidt, Lieder der Deutschen. 2. Aufl.
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