Full text: Auslese deutscher Dichtungen

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Der ihn setze an das gewünschte Land, 
Kein Schiffer lenket die Führe, 
Und der wilde Strom wird zum Meere. 
Da sinkt er ans Ufer und weint und fleht, 
Die Hände zum Zeus erhoben: 
„O hemme des Stromes Toben! 
Es eilen die Stunden, im Mittag steht 
Die Sonne, und wenn sie niedergeht 
Und ich kann die Stadt nicht erreichen, 
So muß der Freund mir erbleichen“ 
Doch wachsend erneut sich des Stromes Wut, 
Und Welle auf Welle zerrinnet, 
Und Stunde an Stunde entrinnet. 
Da treibt ihn die Angst, da fast er sich Mut 
Und wirft sich hinein in die brausende Flut 
Und teilt mit gewaltigen Armen 
Den Strom, und ein Gott hat Erbarmen. 
Und gewinnt das Ufer und eilet fort 
Und danket dem rettenden Gotte; 
Da stürzet die raubende Rotte 
Hervor aus des Waldes nächtlichem Ort, 
Den Pfad ihm sperrend, und schnaubet Mord 
Und hemmet des Wanderers Eile 
Mit drohend geschwungener Keule. 
„Was wollt ihr?“ ruft er vor Schrecken bleich, 
„Ich habe nichts, als mein Leben, 
Das muß ich dem Könige geben!“ 
Und entreißt die Keule dem nächsten gleich: 
„Um des Freundes willen erbarmet euch!“ 
Und drei mit gewaltigen Streichen 
Erlegt er, die andern entweichen. 
Und die Sonne versendet glühenden Brand, 
Und von der unendlichen Mühe 
Ermattet sinken die Kniee. 
„O, hast du mich gnädig aus Räubers Hand, 
Aus dem Strom mich gerettet ans heilige Land, 
Und soll hier verschmachtend verderben, 
Und der Freund mir, der liebende, sterben!“ 
Und horch! da sprudelt es silberhell, 
Ganz nahe, wie rieselndes Rauschen, 
Und stille hält er, zu lauschen 
Und sieh', aus dem Felsen, geschwätzig, schnell,
	        
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