Full text: (Achtes und neuntes Schuljahr) (Teil 4 für Kl. 2 u. 1)

noch vor 9 Uhr an Moltke gemeldet, und demnach unterblieb selbst¬ 
verständlich die Wiedereröffnung des Feuers. Der Versuch Napoleons 
aber, durch persönliches Eingreifen den Ton und Gang der Verhand¬ 
lungen zu ändern, mußte von vornherein hoffnungslos sein, da er ja 
kraft seiner eigenen, zu Donchery durch den Mund des Generals Lastelnau 
abgegebenen Erklärung gar keine Berechtigung mehr hatte, im Namen 
Frankreichs zu sprechen. 
Zur Stunde, wo in Sedan die Generale zum Kriegsrat zusammen¬ 
traten, meldete General Reille dem Bundeskanzler, daß Napoleon auf 
dem Wege nach Donchery sich befände, wo er den König zu finden hoffte. 
Bismarä kam in seinem weißen Kürassierrock heraus, setzte die Feld¬ 
mütze auf, stieg zu Pferd und ritt „ungewaschen und ungefrühstückt", 
wie er folgenden Tages seiner Frau schrieb, dem gefangenen Kaiser ent¬ 
gegen. Ungefähr halbwegs Sedan traf er den Wagen, in welchem 
Napoleon mit den Generalen Lastelnau, Ney und Vaubert saß, während 
drei Offiziere hinterdrein ritten. Der Kaiserschemen mochte hoffen, beim 
König von Preußen persönlich für die Armee noch etwas herauszu¬ 
schlagen; aber daneben hatte er sich wohl auch darum so früh aus dem 
Höllenkessel von Sedan fortgemacht — ohne übrigens zu vergessen, 
sein sehr umständliches Gepäck mitherauszunehmen — weil ihm beim 
derzeitigen Sachbestand die deutsche Kriegsgefangenschaft immerhin mehr 
Sicherheit bot als die französische Schattenkaiserschaft. Als Bismarck 
den haltenden Wagen erreichte, stieg er ab, trat an den Schlag und 
grüßte den Gefangenen mit aller Höflichkeit. Napoleon erfuhr nun, daß 
der König nicht in Donchery, sondern in Vendresse wäre. Bismarck 
bot ihm sein Quartier in dem Städtchen an, was angenommen wurde. 
Als aber der Wagen sich der Maasbrücke näherte, schien Napoleon die 
Einfahrt in den getümmelvollen Ort zu scheuen, ließ unter einem über 
der Straße auf einem Höhenhang stehenden Häuschen halten und fragte 
Bismarck, ob er nicht hier absteigen könnte. Der Kanzler schickte den 
ihm gefolgten Legationsrat Bismarck-Bohlen hinauf, der den Bescheid 
zurückbrachte, das einstöckige, gelbangestrichene Häuschen wäre zwar nicht 
mit Verwundeten belegt, aber sehr dürftig im Innern. „Tut nichts," 
sagte Napoleon, trat in das kleine Haus und stieg mit Bismarck die 
enge, morsche Treppe hinauf. „In einer Kammer von 10 Fuß Ge¬ 
viert," schreibt der Kanzler, „mit einem fichtenen Tische und zwei Binsen¬ 
stühlen saßen wir eine Stunde; die andern waren unten. Ein gewaltiger 
Kontrast mit unserm letzten Beisammensein 1867 in den Tuilerien!
	        
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